Der tägliche Kampf gegen die Tuberkulose
24. März 2012Das Gebäude mit der weißen Fassade und vier prunkvollen Säulen am Eingang stammt noch aus der Zarenzeit. Es liegt umgeben von Wald und einer Schnellstraße im Nordosten von Moskau - und das ist auch so gewollt. Denn so bleiben sie unter sich, die Ärzte und Patienten des Zentralen Tuberkulose-Instituts, an das eine Klinik für 400 Patienten angeschlossen ist.
Im Krankenhaustrakt sitzt die 27 Jahre alte Frau namens Larissa, die ihren Nachnamen nicht verraten möchte. Sie hat den Körper eines dünnen jungen Mädchens von 13 oder 14 Jahren, ihr Gesicht ist schmal und blass. Vor dem Mund trägt sie eine grüne Schutzmaske. Seit 2006 ist sie infiziert: mit Tuberkulose. "Mein Onkel hat meine Mutter und mich angesteckt - er hat die Krankheit lange geheim gehalten, woher er sie hatte, weiß ich nicht mal", erzählt die junge Frau.
Zum Sterben nach Hause geschickt
Vor eineinhalb Jahren ist Larissas Mutter in einem Krankenhaus in ihrer Heimat im westsibirischen Tjumen gestorben. Nach einer Therapie mit mehreren Rückfällen und einer gescheiterten Operation an den Lungen in ihrer Heimat, schaffte Larissa es mit letzter Kraft und der Hilfe von Freunden nach Moskau: Seit sechs Monaten ist sie nun Patientin im Krankenhaus des Zentralen Tuberkulose-Instituts. Auch wenn ihr Atem ab und zu noch immer rasselnd schwer klingt - es geht ihr besser. Eine erneute Entfernung von Lungengewebe steht Larissa wohl nicht bevor.
"Hier im Krankenhaus herrscht ein strenges Regime, wenn ich das mit der Klinik in Tjumen vergleiche. Aber das ist sehr gut", sagt Larissa. Sie darf das Gelände unter keinen Umständen verlassen. Ob bei Spaziergängen im Wald oder auf dem Klinikterritorium - immer muss sie ihren Mundschutz tragen. Alle Präparate nimmt sie in Anwesenheit des medizinischen Personals ein - so wie es die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt. "Meine Prognose ist nun positiv - dabei hat man mich in Tjumen schon zum Sterben nach Haus geschickt", sagt Larissa.
Hohe Infektionsrate jenseits des Ural
Die Statistiken der WHO für Russland sind nach wie vor alarmierend: Die geschätzte Zahl der Neuerkrankungen lag 2010 bei über 100 pro 100.000 Einwohner. Im Vergleich: In Deutschland erkrankten laut WHO im gleichen Jahr fünf von 100.000 Menschen, die Sterblichkeitsrate liegt laut WHO bei 0,25 Prozent - in Russland bei 18 Prozent.
Es sind vor allem die östlichen Regionen Russlands jenseits des Uralgebirges, so wie Larissas Heimat, in denen es zu Neuerkrankungen mit Tuberkulose kommt. "Dort sind die Leute ärmer, die ärztliche Versorgung ist schlechter", sagt Wiktor Pungo, der Leiter der epidemiologischen und statistischen Abteilung des Tuberkulose-Instituts. Erst wenn es Russland gelinge, zum Wohlstand der hoch entwickelten Länder aufzuschließen, stünden die Chancen im Kampf gegen die Tuberkulose besser. Dennoch ist auch die russische Mittelschicht betroffen: Pungo hat bereits bei reichen Geschäftsleuten Tuberkulose diagnostiziert.
HIV, Resistenzen und Gefängnisse verschärfen Problem
Vor allem in den 1990er-Jahren, direkt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, als in weiten Teilen Russlands Chaos und Armut herrschten, verdreifachte sich die Zahl der Tuberkulose-Infektionen. Nun hat sie sich eingependelt - auch weil die russische Regierung die Gefahr einer Epidemie erkannt hat und mehr Geld investiert in Vorsorge und Versorgung. Eine Brutstätte für Tuberkulose bleiben jedoch die oft überfüllten russischen Gefängnisse und Strafkolonien des Landes.
Zwei weitere Faktoren erschweren die Lage erheblich: Russland hat eine hohe HIV-Rate - und bei Menschen, die mit dem HI-Virus infiziert sind, ist die Gefahr, an Tuberkulose zu erkranken, besonders hoch. Außerdem sind gerade in Russland viele Tuberkulose-Patienten mit Bakterienstämmen infiziert, gegen die die wichtigsten Tuberkulose-Antibiotika nicht mehr helfen.
Solche Resistenzen entstehen, wenn Medikamente beispielsweise unregelmäßig oder nicht lange genug eingenommen werden; sei es aus Unwissenheit, Nachlässigkeit oder aufgrund von Versorgungsengpässen. Alle drei Faktoren wirken in Russland seit fast 20 Jahren zusammen.
Moskau als moderne Insel im Tuberkulose-Kampf
Dank eines hochmodernen Labors können die Ärzte im Zentralen Moskauer Tuberkuloseinstitut innerhalb weniger Stunden bestimmen, welche Resistenzen ein Erregerstamm eines Patienten hat. "Hier werden Proben aus dem ganzen Land untersucht“, sagt Larissa Tschernusowa, Leiterin des Forschungslabors für Mikrobiologie und klingt sichtlich stolz.
Doch im Vergleich zu vielen anderen Orten in Russland, an denen ein zu nachlässiger Umgang mit Tuberkulose herrscht, ist das Institut in der Hauptstadt nicht mehr als eine moderne Insel im Kampf gegen die Krankheit. Denn längst nicht alle schaffen es wie die 27 Jahre alte Larissa in die Hauptstadt. Laut Statistik stirbt immer noch jeder fünfte an Tuberkulose erkrankte Russe an der Krankheit, die in so vielen anderen europäischen Ländern eher als selten gilt.