Der tiefe Fall der Freien Syrischen Armee
3. Februar 2018Mitte Januar reiste eine Abordnung der Freien Syrischen Armee (FSA) nach Washington. Die CIA, drängten sie, solle die unter Präsident Trump eingefrorene Unterstützung für die FSA unbedingt wieder aufnehmen. Geschähe dies nicht, würde der iranische Einfluss in Syrien weiter wachsen. Dem habe man aus eigener Kraft wenig entgegenzusetzen, erklärte Mustafa Sejari, einer der Kommandeure der Armee.
Die Zeit dränge, erklärte Sejari anschließend gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. "Es ist an der Zeit, den Worten Taten lassen zu folgen. Derzeit breiten sich die iranischen Milizen in Syrien aus, ohne auf ernsthaften Widerstand zu stoßen." Außerdem habe man auf die politischen Risiken des von US-Präsident Trump eingeschlagenen Kurses hingewiesen. "Wir haben erklärt, wie gefährlich es ist, die moderaten Kräfte der FSA nicht mehr zu unterstützen", so Sejari weiter.
Knapp eine Woche später zeigte sich, was Sejari meinte. Rund 35.000 Kämpfer der FSA zogen an der Seite der Türkei gegen die kurdische Enklave Afrin in den Kampf. Die im Juli 2011 als Zusammenschluss säkularer Assad-Gegner gegründete Armee kämpft nun, im Januar 2018, gegen syrische Kurden - gegen Bürger jenes Landes, dessen demokratischen und republikanischen Charakter die FSA einst verteidigt hatte.
Vorgeschichte einer Entscheidung
Die Entscheidung, Bürger des eigenen Staates zu bekämpfen, hat eine lange Vorgeschichte. Sie ist Resultat jener schwer durchschaubaren, immer wieder wechselnden Allianzen und Bündnisse, die das Lager der Assad-Gegner bereits in einem sehr frühen Stadium des Aufstands kennzeichnete. In den vergangenen Jahren durchlief die Freie Syrische Armee eine politische und vor allem militärische Odyssee, an deren Ende sich ihr ursprünglicher Charakter in sein Gegenteil verkehrt hat.
"Die Freie Syrische Armee gibt es praktisch nicht", erklärte Kamal Sido, Nahost-Referent bei der Gesellschaft für bedrohte Völker, gegenüber dem Deutschlandfunk. "Die Freie Syrische Armee ist ein Deckmantel. Unter diesem Deckmantel verstecken sich verschiedene Namen. Wenn man die Namen anschaut, wenn man Videos von diesen Gruppen anschaut, wenn die sich in Marsch setzen - es handelt sich um islamistische, radikal-islamistische dschihadistische Gruppen."
Ideologische Spaltung
Tatsächlich verfolgt ein großer Teil jener Fraktionen, die sich unter dem Label FSA verbergen, ein teils gemäßigtes, teils radikales islamistisches Programm. Andere Gruppen verfolgen hingegen weiterhin säkulare Ziele. Der Nahost-Analyst Charles Lister von der Denkfabrik Brookings Institution listet knapp 80 verschiedene Einheiten und Verbände auf, die sich unter dem Begriff FSA zusammengeschlossen haben, oder besser: unter ihm fungieren. Politisch verfolgen diese Gruppen ganz unterschiedliche Ziele, militärisch gehen sie eigene Wege. Der Name FSA suggeriert eine Einheit, die es längst nicht mehr gibt.
Der politisch-ideologische Zerfall folgte dem militärischen. Die FSA erschien den USA, die sich im Syrien-Krieg auf Seiten der gemäßigten Assad-Gegner positionierten, nie als vollkommen verlässlicher, über alle Zweifel erhabener Partner. Immer fürchtete man in Washington, die Unterstützung, die man der FSA zukommen ließe, könnte in die Hände dschihadistischer Kämpfer wie etwa des "Islamischen Staats" gelangen. Also hielt sich die Regierung Obama mit Unterstützung und Waffenlieferungen ebenso zurück wie nach ihr die Trump-Administration.
Die tragische Suche nach einem starken Partner
Die Folge: Die FSA sah sich nach anderen Bündnispartnern um - und näherte sich oft besser ausgerüsteten dschihadistischen Gruppierungen an. Der militärische Druck, den das Assad-Regime ausübte, ließ ihr schon aus Gründen der Selbstverteidigung keine Wahl. Die Sorgen der USA, die falschen Partner zu unterstützen, wurden auf tragische Weise Wirklichkeit: Die ausbleibende Hilfe trug dazu bei, erst jene Truppe zu schaffen, die man auf keinen Fall unterstützen wollte. Teile dieser radikalen Gruppen marschieren nun an der Seite der Türkei gegen die Kurden.
Doch sie bilden nur einen Teil der auf türkischer Seite kämpfenden FSA-Einheiten. Der Publizist Faisal al-Yafai weist in der Zeitung The National aus Abu Dhabi auf die weiteren Folgen der ideologischen und militärischen Zersplitterung der FSA hin. "Die einst klar gezogenen Linien des Kriegs in Syrien sind nun verschwommen. Die Tage, als die Unterstützer des Assad-Regimes auf der einen Seite kämpften und die FSA auf der anderen, sind vorbei."
Krieg im Namen der Republik
Die Folgen der zusammengebrochenen Fronten zeigt sich auch bei dem Angriff auf Afrin. Auf Seiten der Türken marschieren unter dem Label der FSA nicht nur Dschihadisten mit, sondern auch säkulare Gruppen. Ihnen, schreibt al-Yafai gehe es vor allem darum, die territoriale Einheit Syriens zu erhalten, ungeachtet aller Gegnerschaft zum Assad-Regime. Diese Einheit sehen sie durch die Kurden in Afrin bedroht - mit der Folge, dass sie nun ausgerechnet das Assad-Regime um Hilfe bitten.
Die Region im äußersten Nordwesten Syriens, so die Sorge der FSA-Kämpfer, könnte irgendwann kein syrisches Gebiet mehr sein, sondern kurdisches, Teil eines womöglich eigenständigen kurdischen Staats. Dieses Ziel haben Vertreter der in der Region um Afrin herrschenden "Kurdische Partei der demokratischen Union" (PYD) zwar verneint. Die Türkei und die an ihrer Seite marschierenden FSA-Kämpfer schenken dem aber keinen Glauben.
Einem Widerspruch kann sich die FSA nicht entziehen: Die Menschen, die sie im Namen der territorialen Einheit Syriens attackiert, sind Syrer: syrische Kurden. Sie sind Teil jener Republik, die die FSA zu verteidigen vorgibt. Politische Ideologie und militärische Praxis sind in Widerspruch zueinander getreten. Es scheint, als habe der Aufstand in Syrien kein Ziel mehr. Der von Russland und Iran gestützte Baschar al-Assad ist weiterhin an der Macht. Wogegen die Rebellen von einst derzeit noch kämpfen, ist immer weniger klar.