Der Tag nach der Flutkatastrophe
16. Juli 2021Um 3 Uhr am Donnerstagmorgen, als die Ahr mit voller Wucht über die Ufer tritt, müssen Nina und Niklas Aker in Sekundenbruchteilen entscheiden, was sie von ihrem alten Leben retten wollen. Für ihre sechsjährige Tochter, noch halb am Schlafen, ist der Fall schnell klar, drei Dinge: ihre Rollerblades, den Roller und ihre Geige.
Kurze Zeit später steht dem Paar das Wasser schon bis zum Bauchnabel, sie nehmen die Tochter auf den Arm, schnappen sich den kleinen Hund und eine Tasche und rennen aus ihrem Haus zu den Nachbarn eine Straße höher.
"Da kommt dann tatsächlich so ein Moment der Panik, wo Du nur noch sagst, alle raus, alle raus", sagt Niklas Aker.
36 Stunden später ist von dieser Angst ums eigene Leben nicht mehr viel zu spüren, Aker ist - wie viele der rund 18.000 Einwohner von Sinzig - vollauf damit beschäftigt, sein Haus wieder schleunigst auf Vordermann zu bringen.1,40 Meter stand das Wasser hoch, jetzt ist hier nur noch Schlamm, "wie im Amazonas-Delta", sagt der 39-Jährige mit einem Lächeln. "Gestern habe ich noch gedacht, wir brauchen fürs Aufräumen zehn Jahre und heute sind wir schon so weit, dass wir bald den Estrich herausreißen können."
Nur das Obergeschoss bleibt unversehrt
Der Keller mit Winterreifen, Heizung und Werkzeug - komplett zerstört. Möbel, Sofa und Vitrinen im Erdgeschoss - hinüber. Das heiß geliebte Klavier von der Großmutter schwamm halb auf dem Kopf. Aker freut sich in diesen Momenten über die kleinen Dinge, die es irgendwie durch ein Wunder ins Jetzt geschafft haben.
"Als wir dann die Wohnung zum ersten Mal wieder betreten haben, lag da die Bügelwäsche trocken und sauber auf dem Sofa, weil es zwar geschwommen, aber nicht umgekippt ist. Die konnten wir dann mit frisch gewaschenen Händen heraustragen", sagt Aker. Oder auch die Bastelarbeiten der Tochter, die auf dem Kamin standen und tatsächlich trocken geblieben sind.
Auch das Auto hat die Flut überlebt, die Feuerwehr hatte Mittwoch nachmittags geklingelt und alle Bewohner aufgefordert, ihre Wagen auf den höher gelegenen Supermarktparkplatz zu stellen. "Wir haben noch gedacht, sind die komplett irre? Da schien noch die Sonne", erinnert sich Niklas Aker. Das Auto der Nachbarn stand am nächsten Tag 40 Zentimeter unter Wasser.
Drama in Sinzig einige Straßen weiter
Einen Katzensprung vom Haus der Familie Aker entfernt ereignete sich in Sinzig eine Tragödie: zwölf Menschen mit geistiger Behinderung wurden von der Flutwelle im Schlaf überrascht und konnten sich nicht selbst retten. Die Hilfskräfte kamen zu spät, das Team des Wohnheims ist nach dem Tod seiner Schützlinge vollkommen traumatisiert.
Der ältere, alleinlebende Nachbar von Niklas Aker hatte dagegen Glück. "Wir hatten ihn erst telefonisch nicht erreicht, in der Nacht rief er dann uns an: 'Was ist los? Ich liege im Bett und werde vom Wasser geweckt.'" Kurze Zeit später rettet ihn das Technische Hilfswerk mit einem Boot.
Riesige Solidarität und Hilfsbereitschaft
Niklas Aker hat kaum geschlafen die letzten Tage, die Schockstarre kurz nach der Flut ist einer hektischen Betriebsamkeit gewichen. Morgens kamen schon Privatinitiativen mit Thermoskannen und heißem Tee vorbei, das THW serviert belegte Brötchen; Kekse und Wasser. Überall im Haus wuseln Familie, Freunde und Kollegen herum und packen mit Gummistiefel und Schippe bewaffnet an. So wie Sarah Krajewski, die auch aus der Gegend stammt.
"Es ist wichtig, in diesen Zeiten einfach für die Freunde da zu sein. Das hilft, das Gefühl, dass sich alle kümmern", sagt sie. Sarah hat sogar Studenten vom RheinAhrCampus der Hochschule Koblenz aus Jordanien und Georgien zur Hilfe zusammengetrommelt. Die Helfer rupfen den Teppichboden heraus und bringen die Küche wieder halbwegs in den Normalzustand.
Politik und Versicherungen in der Bringschuld
"Wir werden definitiv bleiben, das Obergeschoss ist ja bewohnbar", sagt Aker. Der Plan: so schnell wie möglich mit der Entkernung und dem Neubau zu beginnen. Doch das kann dauern. "Schon vor der Flut fand man ja kaum Handwerker. Und jetzt gibt es allein hier in der Straße gefühlt 50 Personen, welche die gleichen Dienste brauchen."
Wie das Leben für Niklas Aker und seine Nachbarn in Sinzig weitergeht, hängt jetzt vor allem von den Soforthilfen der Politik ab. Und den Zahlungen der Versicherungen. Aker, der akribisch alle Schäden abfotografiert, hat eine Elementarschadenversicherung abgeschlossen und ist damit eigentlich auf der sicheren Seite.
Doch in der Nachbarschaft machen schon jetzt Geschichten die Runde, dass sich die Versicherer auf höhere Gewalt zurückziehen wollen. Niklas Aker sagt: "Mein Appell ist, dass jetzt nicht Bürokratie über Menschenschicksale gestellt wird."