Gestürzt, aufgestanden, angekommen
15. September 2015Abdel Mohsen ist in Sicherheit. Er muss nicht mehr damit rechnen, dass am Himmel Hubschrauber auftauchen und über seinem Haus Fassbomben abwerfen. Er muss die Henker der Terrororganisation "Islamischer Staat" nicht mehr fürchten. Und er muss nicht mehr fürchten, seine Familie nicht ernähren zu können. Nach Jahren des Schreckens in Syrien und schwierigen Monaten in der Türkei ist er nun in München, zusammen mit seinem siebenjährigen Sohn Zaid. Und seinem 18 Jahre alten Sohn Mohamed, der bereits vor Monaten in die bayerische Hauptstadt kam.
Ohne es zu wollen, wird Osama Mohammed Abdel Mohsen, wie er mit ganzem Namen heißt, vor wenigen Tagen zu einem Symbol des syrischen Flüchtlingsdramas: Anfang September hat er es gerade in den ungarischen Ort Röszke nahe der Grenze geschafft. Nun versucht er, zusammen mit anderen Flüchtlingen die Polizeiabsperrung zu durchbrechen. Einige Schritte hat er getan, da stellt ihm die ungarische Kamerafrau Petra Laszlo ein Bein. Osama Abdel Mohsen stürzt, zusammen mit seinem Sohn Zaid, den er in den Armen trägt.
Ein Leben für den Sport
Das Schicksal Abdel Mohsens ist typisch für weite Teile der syrischen Mittelschicht, die sich gezwungen sehen, sich aus Syrien auf den Weg ins sichere Europa zu machen. Osama wird 1963 in der Stadt Deir al-Zor im Osten Syriens geboren. Schon als Kind spielt er mit in der Jugendmannschaft des örtlichen Fußballvereins Al-Futuwa. Der 1930 gegründete Club wurde neunmal syrischer Landesmeister.
Nach dem Abitur studiert Abdel Mohsen an der sportwissenschaftlichen Fakultät der Universität von Aleppo. Dort lässt er sich zum Fußballtrainer ausbilden. Nach seinem Abschluss fängt er bei Al-Futuwa als Jugendtrainer an. Zehn Jahre lang bildet er die jungen Spieler aus. In dieser Zeit arbeitet sich der Verein auf Rang vier der syrischen Liga hoch.
Später tritt er eine Ausbildung zum Sportlehrer an, die er 1999 mit einem Diplom abschließt. Im Jahr 2001 wird er Mitglied der nationalen Kommission zur Förderung des syrischen Fußballs. Bald darauf verantwortet er das Training für die Jugendauswahl der östlichen Landesteile. Später wird er Mitglied des Syrischen Verbandes zur Sportförderung. Diesem gehört er bis zum Juli 2011 an. Dann muss er den Verband wegen seiner Sympathie für die syrische Revolution verlassen.
Protest gegen das Assad-Regime
Schließlich erklärt Abdel Mohsen seinen Austritt aus dem Exekutivkomitee von Deir al-Zor und schließt sich der Protestbewegung an - "der friedlichen Bewegung, denn ich hasse Gewalt", wie er im Gespräch mit der DW erklärt.
Während der Revolution muss er sich verstecken. Er wechselt den Wohnsitz, lebt in Damaskus, Deir al-Zor oder Rakka. Doch irgendwann ergreift dort der "IS" die Macht. Einer seiner Söhne wird vor dem Haus des Vaters angeschossen, die Kugel trifft ihn ins Bein.
Bald darauf entschließt sich der Vater, mit seiner Familie das Land zu verlassen. Er sei vor zwei Gegnern geflohen, erklärt er im Gespräch mit der DW, "vor dem Assad-Regime und dem Islamischen Staat". Heute wird Deir al-Zor von beiden Gruppen beherrscht: Während der IS die Macht über das Umland hat, befindet sich die Stadt selbst unter der Kontrolle des Regimes. Insbesondere seit dem Aufstieg des IS haben sich die Lebensverhältnisse in der Region immer weiter verschlechtert. Viele Familien sahen sich gezwungen, die Stadt zu verlassen - auch, weil diese immer wieder #link:18578878:von den Flugzeugen und der Artillerie des Assad-Regimes# beschossen wurde.
Das "Team Hoffnung"
Abdel Mohsen flieht mit seiner Frau und seinen vier Kindern ins türkische Mersin. Dort arbeitet er im Krankenhaus als Physiotherapeut. In dieser Zeit gründet er auch eine Fußballmannschaft: das "Team Hoffnung". Mit ihm nimmt er an mehreren Freundschaftsspielen teil.
Wegen der hohen Lebenskosten und weil der Lohn aus der Klinik ausgeblieben ist, entschließt sich Abdel Mohsen vor einem Monat, die Türkei zu verlassen. Er will zu seinem Sohn Mohammed, der bereits vor neun Monaten in Deutschland angekommen ist und sich seitdem in der Obhut des Münchener Jugendamts befindet. Abdel Mohsen nimmt seinen jüngsten Sohn mit, den siebenjährigen Zaid.
Auf dem Weg nach Europa
Für die Strecke von Bodrum nach Belgrad brauchen die beiden eine Woche. Die Kosten: 2500 Euro. Abgesehen von einigen Problemen mit der griechischen Polizei verläuft die Reise ruhig. Nachdem sie Mazedonien durchquert haben, machen sie sich weiter in Richtung Ungarn auf.
An der serbisch-ungarischen Grenze wird es eng. "Auf einem kleinen Stückchen Land versammelten sich Hunderte von Menschen", berichtet Abdel Mohsen. "Es war dreckig und kalt." Die Flüchtlinge versuchen die Grenze zu erreichen, #link:18715176:bevor sie einige Tage später geschlossen würde#. "An der Hand hatte ich Zaid, der aus Angst vor den uns gegenüber stehenden Polizisten laut zu weinen begann. Der Junge beklagte sich über Schmerzen im Bein und meinte, es sei gebrochen." So nimmt der Vater ihn auf den Arm und beginnt zu laufen - bis zu jener Stelle, an der die Journalistin ihm ein Bein stellt. Zunächst beschimpft Abdel Mohsen einen in der Nähe stehenden Polizisten."Ich dachte, er hätte mir ein Bein gestellt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass eine Journalistin so etwas tut."
Zaid zieht sich bei dem Sturz eine kleine Quetschung zu. Schließlich werden sie mit dem Bus nach Österreich gebracht, wo man sie freundlich begrüßt. Das Rote Kreuz kümmert sich um Zaids Verletzung. Am nächsten Tag spricht Osama Mohsen mit Journalisten. Die erzählen ihm von dem Video, das sich inzwischen wie ein Lauffeuer im Internet verbreitet hat.
Am vergangenen Samstag kommen Vater und Sohn #link:18711838:in München# an. "Die Deutschen empfingen uns auf die bestmögliche Weise", sagt Osama Abdel Mohsen. "Psychologisch war das eine große Erleichterung."
Klage gegen Kamerafrau geplant
Überglücklich nimmt er in München auch seinen Sohn Mohamed wieder in die Arme: "Das Beste an ganz Deutschland ist es, Mohamed wieder zu sehen."
Über die ungarische Kamerafrau ist er immer noch wütend. "Ich werde ein solches Verhalten nicht zulassen. Es geht mir nicht um mich und meinen Sohn. Es geht mir um sämtliche Flüchtlinge und Syrer." Er will einen Anwalt engagieren und die Frau und ihren Sender verklagen.
Und noch etwas hat Osama Abdel Mohsen vor: "Ich will wieder ein 'Team Hoffnung' gründen. Ich hoffe, ich finde materielle und moralische Unterstützung, um diesen Plan umzusetzen."
Nachtrag der Redaktion: Abdel Mohsen hat inzwischen ein Jobangebot aus Spanien erhalten: Man werde ihn einstellen, teilte das Nationale Fußballtrainer-Ausbildungszentrum Cenafe mit. Demnach ist Mohsen auch bereits Getafe bei Madrid eingetroffen und wird so schnell wie möglich die Arbeit aufnehmen.