Der Streit um die Waffengesetze spaltet die USA
30. Mai 2022Nur wenige Tage nach dem Schulmassaker in Uvalde in Texas standen sich bei der Jahrestagung der US-Waffenlobby "National Rifle Association" (NRA) in Houston Verfechter des Waffenbesitzes und empörte Demonstranten gegenüber.
Die Veranstaltung begann weniger als 72 Stunden nach dem Amoklauf. Bei dem Massaker am 26. Mai hatte ein 18-Jähriger 19 Viertklässler und zwei Lehrer der Robb-Grundschule in Uvalde erschossen.
Unter den Waffen, die auf der Veranstaltung ausgestellt waren, befanden sich auch AR-15-Gewehre, wie sie der Täter Salvador Ramos benutzt hatte. Die Herstellerfirma Daniel Defense hatte ihre Teilnahme an der Jahrestagung deshalb abgesagt.
Tief verwurzelte Waffenkultur
Bei der Waffenausstellung auf dem NRA-Kongress war unter anderem ein Kind an einem Stand zu sehen, das mit dem Einsatz virtueller Technik schießen lernte, während es dabei von einer Gruppe von Erwachsenen angefeuert wurde.
Szenen wie diese zeigen, wie sich aus dem Eintreten für das Recht auf Selbstverteidigung eine Gemeinschaft aktiver Waffenbesitzer entwickelt hat. Der Besitz von Waffen ist durch den zweiten Zusatzartikel der US-Verfassung geschützt.
In den USA gibt es mittlerweile mehr Waffen in zivilem Besitz als Menschen. Viele Waffenbesitzer tragen und sammeln ihre Pistolen, Flinten, Revolver und Gewehre mit Stolz. Es gibt unzählige Varianten, die alle in verschiedenen Ausführungen und Farben erhältlich sind. Einige sind sogar graviert oder handbemalt.
Ein Grund für die ostentative Waffenliebe ist die Interpretation des Zweiten Verfassungszusatzes. "Ein Teil der Amerikaner betrachtet diesen heute praktisch als ein unbegrenztes Recht", sagte Patrick J. Charles, ein Rechtsgelehrter und Historiker, der sich auf Waffenrechte und die Verfassung spezialisiert hat, gegenüber DW.
Mehr als Selbstverteidigung
"Selbst wenn US-Amerikaner im 20. Jahrhundert Waffenbesitz als ein individuelles Recht ansahen, so war es doch recht eng gefasst, um sich zu Hause und vielleicht in der Öffentlichkeit zu schützen - aber man brauchte eine Lizenz. Das Recht, von dem wir heute sprechen, ist weit von dem ursprünglich beabsichtigten Zweck weit entfernt", sagte Charles.
Nach Einschätzung des Historikers nutzt die NRA-Führung diesen Mentalitätswandel, um ihre rund fünf Millionen Mitglieder "bei Laune zu halten". "Die NRA weiß, dass sie immer weiter nach rechts gehen muss", erklärt Charles. "Selbst wenn die NRA morgen verschwindet, wird die Gruppe von Befürwortern weiter existieren und andere Wege finden, sich zu versammeln und politisch aktiv zu sein."
Das ehemalige NRA-Mitglied Glenn Keels stimmt zu. Die Befürworter von Waffen seien im Laufe der Jahre immer extremer geworden, meint der Kriegsveteran. Glenn will zwar nicht, dass Waffen gänzlich verboten werden, doch er spricht sich für ein Verbot von bestimmten Waffentypen aus, unter anderem von solchen, die der Schütze von Uvalde benutzt hat.
Kinder als Todesopfer
"Wir fordern vernünftige Waffengesetze", sagt Keels der DW. Das Argument der Waffenanhänger, man könne ein Massaker wie in der Grundschule in Texas auch mit einer Schrotflinte verüben, lässt er nicht gelten.
"Niemand kann sich gegen ein AR-15-Sturmgewehr verteidigen, es sei denn, man hat eine vorbereitete Ausrüstung", erklärt er. "Man kann sich nicht hinter einem Schreibtisch verstecken. Es schießt direkt hindurch! Es schießt durch Wände! Das hat mit Selbstverteidigung nichts zu tun."
In einer Statistik des US-amerikanischen Gesundheitsministeriums zeigt sich, wie fatal sich das Recht auf Waffen auf Kinder in den USA auswirkt. Daten der Centers for Disease Control and Prevention (Zentren für Krankheitskontrolle und -prävention), die dem Ministerium unterstehen, belegen, dass Schusswaffen 2020 die häufigste Todesursache bei Kindern waren. Verkehrsunfälle kamen erst an zweiter Stelle.
Waffenlobby gibt "Bösen" die Schuld
NRA-Mitglieder kontern diese statistischen Befunde mit der Behauptung, dass Massenmorde ein unvermeidliches "Übel" seien und nicht durch Waffengesetze beseitigt werden könnten.
"Es gibt böse Menschen auf der Welt", sagte Kenny Dobbs, der sich außerhalb des Kongresszentrums mit Demonstranten anlegte. "Selbst wenn man die Waffen wegnimmt, kann ein böser Mensch ein Fahrzeug nehmen und in 40 oder 50 Menschen hineinrammen. Das kann man nicht per Gesetz verhindern", sagte er gegenüber DW.
Waffen sind ein zentrales Thema im US-Wahlkampf. Die Republikaner lehnen Waffenkontrollen strikt ab und blockieren Reformen bei der Gesetzgebung. Ein Motiv ist, sich die Wahlkampfgelder der NRA und die Stimmen ihrer Anhänger zu sichern.
Im Hinblick auf die bevorstehenden Vorwahlen zu den Senatswahlen im November werden die Republikaner wahrscheinlich keine Zugeständnisse machen. Gesetzesentwürfe zur Waffenkontrolle wurden bereits vom Senat blockiert, der nach der jüngsten Schießerei voraussichtlich eine neue Gesprächsrunde zur Ausarbeitung von Waffengesetzen einleiten wird.
Die Demokraten hingegen drängen auf Reformen. US-Präsident Biden besuchte am Sonntag Uvalde und traf sich mit den Familienangehörigen der Todesopfer. Berichten zufolge riefen Demonstranten vor einem Gottesdienst in Uvalde dem Präsidenten zu, etwas zu unternehmen, woraufhin dieser antwortete: "Das werden wir."
Doch angesichts der tiefen Spaltung des Landes überwiegt die Skepsis. Kriegsveteran Glenn Keel bezweifelt, dass sich etwas ändern wird. "Ich glaube, es wird noch schlimmer werden, bevor es besser wird. Ich bin nicht sehr hoffnungsvoll. Aber wir müssen es weiter versuchen."