Der Spion, der aus London kam
5. November 2013Großbritannien ist die Mutter aller Geheimdienstarbeit. Das zumindest haben uns Ian Fleming, John Le Carré und Co gelehrt. Die britischen Schriftsteller schufen in ihren Romanen Geschichten gegenseitiger Kontrolle von Meisterspionen, meist angesiedelt zur Zeit des Kalten Krieges. Und immer wieder auch in Berlin. Jetzt sind die Agentengeschichten in der Gegenwart angekommen.
"Britain's secret listening post in the heart of Berlin", hat "The Independent", eine der vier großen britischen Tageszeitungen, seine Enthüllungen über die Spionageaktivitäten seiner Regierung unter Berufung auf Dokumente des amerikanischen Ex-Geheimdienstlers Edward Snowden überschrieben: Großbritanniens geheimer Horchposten im Herzen Berlins. In dem Bericht heißt es, auf dem Dach der britischen Botschaft in Berlin sei eine Spähanlage installiert. In den vergangenen Monaten veröffentlichte Unterlagen zum US-Geheimdienst NSA "kombiniert mit Luftaufnahmen und den Erkenntnissen über frühere Spähaktivitäten in Deutschland" legten folgenden Schluss nahe: dass Großbritannien "seine eigene Abhörstation" im deutschen Regierungsviertel unterhält. Der britische Botschafter wurde inzwischen ins Außenamt gebeten.
Regierungsvertreter wollen Teile des Berichts stoppen
Ein Sprecher des Außenministeriums erklärte, Simon McDonald sei auf Veranlassung von Außenminister Guido Westerwelle (FDP) zu einem Gesprächs ins Ministerium eingeladen worden. Das Ministerium wies darauf hin, dass "das Abhören von Kommunikation aus den Räumlichkeiten einer diplomatischen Mission ein völkerrechtswidriges Handeln wäre".
Duncan Campbell ist einer der Journalisten, die den Artikel für den "Independent" schrieben. Er sagt, dass die USA und Großbritannien eng zusammenarbeiten. "Sie sind miteinander im Bett", so Campbell im DW-Gespräch. Der Reporter berichtet seit rund 40 Jahren über Geheimdienste und wurde vom britischen GCHQ in den 1970ern fast ins Gefängnis gesteckt. Deswegen brachte es ihn auch nicht aus der Fassung, dass der "Independent" vor Erscheinen des aktuellen Artikels Besuch bekam: "Spät am Abend kam ein Regierungsvertreter vorbei und sprach mit einem Kollegen, der Nachtschicht hatte." Der Beamte forderte, bestimmte Details aus dem Artikel zu entfernen, die laut Campbell aber schon lange nicht mehr geheim waren. Bereits zuvor hatte die britische Regierung den Medien recht unverhohlen Strafmaßnahmen für deren Enthüllungen angedroht.
Überraschung hält sich in Grenzen
Nach den immer haarsträubenderen NSA-Enthüllungen der vergangenen Wochen dürfte es kaum jemanden mehr wundern, dass sich offenbar auch London für das Treiben in der deutschen Hauptstadt interessiert. "Überraschend ist das sicherlich nicht mehr", sagt Jan Philipp Albrecht, Abgeordneter der Grünen im Europa-Parlament und Mitglied im Ausschuss für bürgerliche Freiheit und Justiz. "Man sollte jetzt darüber reden, welche Konsequenzen man daraus zieht."
Dass die Briten über Abhörgeräte auf dem Dach ihrer Botschaft wohl deutsche Politiker abgehört haben, sei ein noch schlimmerer Vertrauensbruch als die gleiche Aktion der Amerikaner. "Es kann nicht sein, dass ein europäischer Staat wie Großbritannien andere EU-Staaten ausspioniert", betont Albrecht im DW-Interview.
Gleiche Regeln für alle Freunde
Der Lauschangriff der Briten ist auch mit Blick auf zukünftige Gespräche mit den Amerikanern ein großes Problem. Wie soll man bei Verhandlungen eine gemeinsame, europäische Front gegen Spionage präsentieren? Kanzlerin Angela Merkel sagte schon Richtung Washington: "Ausspähen unter Freunden - das geht gar nicht." Das gilt für transatlantische Partner ebenso wie für innereuropäische.
Man dürfe die Briten "nicht anders behandeln als die amerikanischen Freunde", sagte im Deutschlandfunk Thomas Oppermann, Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste. Die Spionageabwehr in Deutschland müsse "ohnehin umgestellt werden", so der SPD-Innenpolitiker, dabei werde man sich mit den aktuellen Vorwürfen beschäftigen. "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser." Es müsse erreicht werden, "dass wir uns in einem Wertebündnis wie der NATO und wie der Europäischen Union nicht wechselseitig ausspionieren", fordert Oppermann. Das sei auch eine Frage des Respekts vor der Souveränität.