Der Sozialismus in Farbe
25. März 2014Das Leben im Kapitalismus behagt ihm immer noch nicht, aber Martin Schmidt ist dieser Tage trotzdem gut gelaunt. 25 Jahre nach dem Mauerfall ersteht ein großer Teil seiner Vergangenheit wieder auf. Das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt eine Ausstellung von Fotos, die der Ost-Berliner Fotograf für Zeitschriften, Kataloge und Broschüren geschossen hat. Auftragsfotografien für die DDR. Präsentiert werden knapp 150 Fotos aus den 60er und 70er Jahren unter dem Titel: "Farbe für die Republik".
Fotos im Propaganda-Auftrag
Der 88-Jährige schaut amüsiert und mit wachem Blick in den Pulk von Journalisten und Ausstellungsbesuchern, die ihn bei der Eröffnung umringen. Leise sagt er: "Ich verstehe dieses große Interesse an mir gar nicht". Die DDR sei schließlich seit langem Geschichte. Wieso will da jemand wissen, welche Fotos er im Auftrag eines Landes geschossen hat, das heute kaum jemand vermisst? Carola Jüllig versteht das Interesse an diesem Teil der ostdeutscher Kulturgeschichte sehr gut. Sie ist die Kuratorin der Ausstellung, der ersten in Deutschland, die sich der offiziellen journalistischen Bildproduktion der DDR widmet - am Beispiel der Farbfotografie. "Diese Bilder sind Propaganda", stellt sie klar. "Aber sie sind auch einfach tolle Fotos. Sie zeigen eine DDR, die positiv ist, die leuchtet".
Ein Schatz an Bildern
Nach der Wende konnte das Deutsche Historische Museum Berlin Anfang der 90er Jahre die Foto-Sammlungen zweier DDR-Fotografen aufkaufen. Zum einen die von Martin Schmidt und die von Kurt Schwarzer, der 2012 gestorben ist. Zigtausende von Negativen, etliche in Farbe, schlummerten über Jahre hinweg in den Kellern des Museums-Archiv. Bis sich die Historikerin Carola Jüllig daran machte, die Bilder zu sichten. Erstaunliches kam zu Tage: "Ich habe dort einen wahren Schatz entdeckt".
Als Westdeutsche kannte sie bis dahin nur die künstlerischen Werke der Ostkreuz-Fotografen, die das Leben der DDR ausschließlich in Schwarz-Weiß-Aufnahmen portraitiert hatten, erzählt sie. Bilder, die in der DDR offiziell nicht gezeigt werden durften. Als sie sich durch die Archivbestände der beiden Fotografen arbeitete, bekam das Leben in dem ostdeutschen Staat für sie allmählich Farbe.
Idylle im DDR-Vorzeigebetrieb
Die Fotoreportagen der beiden Fotografen werden in der Ausstellung auf großformatigen Abzügen gezeigt. Geordnet nach sieben verschiedenen Motiven, wie beispielsweise "In den Fabriken" oder "Die sozialistische Stadt". Sie zeigen alltägliche Menschen bei der Arbeit und in ihrer Freizeit. Da wuchten junge Männer auf einer Baustelle ein Stahlrohr in die Luft, ein junges Pärchen schaut sich - auf einem Moped sitzend - verliebt in die Augen.
Bilder aus einer fernen Zeit, mit einer klaren Botschaft: So schön bunt war die DDR. "Das hatte mit der Lebenswirklichkeit der DDR nichts zu tun", erläutert Kuratorin Carola Jülig. Schlechtgelaunte Menschen, gelangweilte Arbeiter, klapprige Trabi-Autos oder öde Gefängnismauern wurden nicht fotografiert. "Das Negative wollte man nicht zeigen", meint Fotograf Martin Schmidt dazu. In Vitrinen ausgelegte Zeitschriften zeigen den Zusammenhang, in dem die Fotoreportagen damals standen.
Werbung für den Sozialismus
Bei der Ausstellungseröffnung steht Schmidt vor einem Foto, das eine junge Bäuerin auf einem Traktor zeigt. Im Hintergrund: Strahlend blauer Himmel. Schmidt hat es 1965 für die Zeitschrift "Lernen und Handeln", ein Funktionärsorgan des Demokratischen Frauenbundes Deutschland, geschossen. Jetzt, nach über 40 Jahren, freut er sich über die handwerkliche Komposition des Fotos: "Das ist von der Farbkombination her ein tolles Bild. Das Rot des Kopftuchs mit dem Blau des Himmels. Das ist doch schön". Man muss ihm einfach zustimmen. Es ist ein richtig gutes Foto, wie die meisten dieser Ausstellung.
Martin Schmidt und Kurt Schwarzer, die ihre Arbeit beide freiberuflich ausübten, verstanden ihr Handwerk. Sie wussten, wie sie ein Foto aufbauen mussten, damit es eine Aussage bekommt. Und auch, dass diese Aussage immer die gleiche sein sollte: im Sinne der sozialistischen Parteiführung der DDR. All diese Fotos, die sie im Auftrag von Zeitschriften-Redaktionen oder Katalogmachern, geschossen haben, waren Werbe-Instrumente. Das Produkt, das sie beworben haben, hieß Sozialismus.
Mit inneren Auftrag: Nie wieder Krieg
Während sich sein Kollege Kurt Schwarzer eher als unpolitischer Handwerker verstand, stand Martin Schmidt auch politisch voll und ganz hinter seiner Auftragsfotografie. 1925 geboren, verbrachte er seine Jugend im Nationalsozialismus. Aus Stettin vertrieben, den Vater im Krieg verloren, hat er nur ein Ziel: Nie wieder Krieg. "Es heißt: Wir haben Auftragsfotografie gemacht", erklärt Schmidt seine Motivation, "ja, ich habe im Auftrag gearbeitet, aber vor allem hatte ich einen inneren Auftrag: den Frieden zu erhalten". Der Sozialismus könne die Gesellschaft besser machen. Martin Schmidt glaubt fest daran. Auch noch im Jahr 2014, in dem im wiedervereinigten Deutschland "25 Jahre Ende der DDR" gefeiert wird.
Zum Weiterlesen: Farbe für die Republik. Fotoreportagen aus dem Alltagsleben der DDR, Stiftung Deutsches Historisches Museum. Harald Hauswald (Hrsg.): Vor Zeiten – Alltag in der DDR: Fotografien 1976-1990. Manfred Beier: Alltag in der DDR: So haben wir gelebt. Fotografien 1949-1971 aus dem größten Privatarchiv der DDR.