Pengs seltsamer Widerruf
20. Dezember 2021In einem ersten öffentlichen Statement seit ihrem Verschwinden hat Chinas Tennisstar Peng Shuai die Vergewaltigungsvorwürfe gegen den ranghohen kommunistischen Parteifunktionär Zhang Gaoli bestritten. "Ich habe nie etwas gesagt oder geschrieben, worin ich jemanden beschuldigt habe, mich sexuell belästigt zu haben", sagte die 35-Jährige in einem Video-Interview der in Singapur erscheinenden chinesischsprachigen Zeitung "Lianhe Zaobao". "Ich möchte diesen Punkt ganz klar betonen." Sie fühle sich missverstanden. Es war das erste Mal, dass sich Peng Shuai vor laufender Kamera direkt dazu geäußert hat.
Die Handy-Videoaufnahme scheint Peng am Sonntag am Rande einer Ski-Langlauf-Veranstaltung in Shanghai zu zeigen, wo sie von einer Lianhe-Zabao-Reporterin angesprochen wird. Sie trägt ein rotes T-Shirt und eine Daunenjacke mit der Aufschrift "China" und scheint sich mit dem chinesischen Basketballer Yao Ming zu unterhalten. In dem Interview wirkt sie oft unkonzentriert und verunsichert, sagt nach Angaben der Zeitung "Lianhe Zaobao" Sätze wie, "Moment, wie war die Frage? Entschuldigung, das habe ich nicht verstanden".
Auf die Frage, ob sie seit den Berichten über die Vorwürfe überwacht worden sei, antwortet Peng, sie sei "immer sehr frei" gewesen. Angesprochen auf eine E-Mail an den Damentennisverband WTA spricht Peng von Übersetzungsproblemen, ihr Englisch sei nicht so gut.
Zwei Wochen von der Bildfläche verschwunden
Peng, die Doppel-Siegerin in Wimbledon und bei den French Open, war mehr als zwei Wochen lang nicht in der Öffentlichkeit gesehen worden, nachdem sie Anfang November einen Post in dem Online-Netzwerk Weibo veröffentlicht hatte. Dieser wurde als Vorwurf eines sexuellen Übergriffs durch das frühere Politbüromitglied Zhang Gaoli verstanden. Der Post wurde bald danach gelöscht. Auch blockiert die staatliche Zensur seither jede Debatte im chinesischen Internet darüber.
In dem jetzt veröffentlichten Video-Interview beschreibt Peng Shuai ihren Weibo-Post als "private Angelegenheit". Bei Lesern seien möglicherweise "viele Missverständnisse" aufgetreten, sagte der Tennisstar.
Peng und Zhang hatten über Jahre eine heimliche Beziehung mit vielen Unterbrechungen geführt. Das Verschwinden der Sportlerin hatte international für großes Aufsehen gesorgt. Nach wachsendem internationalem Druck hatten staatliche Medien Aufnahmen veröffentlicht, die Peng unter anderem bei einem Tennisturnier in Peking zeigten.
WTA weiterhin besorgt
Weil ihm die Signale aus China zum Schicksal der 35-Jährigen nicht ausreichten, setzte der Damentennis-Verband WTA Anfang Dezember alle Turniere in China und Hongkong aus, obwohl China ein wichtiger Geldgeber ist. Der WTA zeigt sich weiterhin besorgt über Pengs Wohlergehen. In einer ersten Reaktion auf das aktuelle Video hieß es von dem Verband, er fordere weiterhin eine "lückenlose, faire und transparente" Untersuchung des Falls. Die Aufnahme habe "die erheblichen Bedenken des WTA hinsichtlich ihres Wohlbefindens und ihrer Möglichkeiten, frei von Zensur oder Zwang zu kommunizieren, weder verringert noch ausgeräumt", erklärte der Verband.
Der Fall überschattet auch die Vorbereitungen für die Olympischen Winterspiele im Februar in Peking. Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), der Deutsche Thomas Bach, geriet unter Druck, nachdem er in einer Videoschalte mit dem Tennisstar gesprochen hatte. Er wiederholte am Samstag in einem ARD-Interview, dass das IOC in ihrem Fall weiter auf "stille Diplomatie" setze.
Peng Shuai betonte in dem Interview auch, dass sie ihre E-Mail an WTA-Chef Steve Simon von Mitte November aus freien Stücken geschrieben habe. Darin hatte sie schon betont, dass die Berichte über sie, "einschließlich des Vorwurfs der sexuellen Nötigung", nicht wahr seien und dass es ihr gut gehe. Das Schreiben verstärkte die Besorgnis der WTA allerdings eher noch.
Auf die Frage, ob sie ins Ausland reisen wolle, verwies Peng Shuai darauf, dass sie nicht mehr aktiv Tennis spiele und wegen der Pandemie gegenwärtig auch nicht die Absicht habe, China zu verlassen: "Was soll ich jetzt da draußen machen?"
AR/kle (afp, dpa, zaobao.com.sg)