Der schwierige Umgang mit Hitlers "Mein Kampf"
4. April 2013Für Burkhard Lischka ist die Sache klar. Der SPD-Bundestagsabgeordnete empfände es als eine Verhöhnung der Holocaust-Opfer, wenn nach dem 31. Dezember 2015 Hitlers "Mein Kampf" wieder in deutschen Buchläden zu kaufen wäre oder von Rechtsextremisten in Fußgängerzonen verteilt würde. "Das muss mit allen juristischen Mitteln verhindert werden. Ich finde, dass dieses Machwerk dauerhaft auf den Müllhaufen der Geschichte gehört", sagte Lischka im Gespräch mit der Deutschen Welle. Deshalb hat er zusammen mit anderen Parteikollegen eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, wie sie ab 2016 mit Hitlers Schmähschrift umgehen will.
Bis dahin ist der Freistaat Bayern Inhaber der Urheber- und Verlagsrechte. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte das Bundesland die Rechte erworben und seitdem dazu benutzt, Nachdrucke und damit die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts im In- und Ausland zu unterbinden.
Europaweit endet der Urheberschutz 70 Jahre nach dem Tod des Autors, im Fall von Hitlers "Mein Kampf" also Ende 2015. Danach wird das Buch "gemeinfrei", was bedeutet, dass es grundsätzlich von jedem nachgedruckt und verbreitet werden kann.
Im Einvernehmen mit Israel
Die Bundesregierung antwortete auf die SPD-Anfrage zurückhaltend, sie werde die rechtlichen Fragen klären, die mit einem Publikationsverbot zusammenhängen. Das Auslaufen der Schutzfrist sei bereits Gegenstand von Gesprächen mit der israelischen Regierung gewesen. Und es bestehe ein "gemeinsames Interesse an einer wirksamen Verhinderung der Verbreitung dieses menschenverachtenden Gedankenguts".
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) wird deutlicher. Er sagte schon im Februar zu Hitlers Buch: "Der Originaltext hat nach dem geltenden Gesetz eindeutig volksverhetzenden Charakter." Herrmann kündigte rechtliche Schritte gegen jeden an, der den Originaltext verbreitet.
Die gesetzliche Handhabe für ein Verbot von Hitlers "Mein Kampf" bietet laut Rechtsanwalt und Medienexperte Tim Hoesmann der Paragraph 130 des Strafgesetzbuches. Aufgrund des Inhalts hält Hoesmann ein Verbot der Buchveröffentlichung für sehr wahrscheinlich. In Hitlers Werk würden einzelne Personen und Religionsgruppen klar diffamiert. Der Rechtsanwalt schränkt aber ein: "Ob die Gerichte auch entsprechend urteilen, ist nicht vorhersagbar." Grundsätzlich seien sogar unterschiedliche Urteile möglich.
Ein Verbot hängt von der Publikationsform ab
Schon gibt es im Internet zahlreiche Auszüge aus Hitlers Kampfschrift, ohne dass die Justiz viel dagegen unternehmen könnte. Außerdem wird das Werk in zahlreichen Ländern ohne Einschränkungen auch im Buchhandel verkauft.
Für Parlamentsmitglied Burkhard Lischka ist das kein Grund, eine Veröffentlichung in Deutschland zu erlauben: "Das wäre ein fatales Signal. Ich glaube, wir haben als deutscher Staat aufgrund unserer Geschichte hier schon eine besondere Verantwortung."
Rechtsanwalt Tim Hoesmann vermutet, dass es von der Form der Veröffentlichung abhängen werde, ob eine Publikation verboten wird oder nicht. "Es gibt ja auch ein starkes wissenschaftliches Interesse an dem Werk und eine kommentierte Version von Hitlers 'Mein Kampf' wird sicherlich anders zu beurteilen sein, als ein unkommentierter Nachdruck."
Den Mythos entzaubern
Das Institut für Zeitgeschichte (IZF) in München arbeitet seit 2009 an einer kommentierten Version. Dabei wird es vom Freistaat Bayern finanziell unterstützt. Die Bundesregierung äußerte sich zu dem Vorhaben neutral. Das Projekt gehe zwar nicht auf ihre Initiative zurück, könne aber "im Sinne einer fundierten historischen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Diktatur sachgerecht sein".
SPD-Mann Burkhard Lischka hält das Unternehmen für fragwürdig, weil es juristisch schwierig sei, zwischen guten und schlechten Kommentaren zu unterscheiden. "Wenn man es generell zulassen würde, dass diese Schrift mit einer Kommentierung vertrieben werden kann, dann führt das möglicherweise dazu, dass Rechtsextremisten das Buch neu auflegen und mit Kommentaren versehen, die wir alle nicht haben wollen."
Die Münchener Historiker arbeiten mit Hochdruck an ihrer Analyse, die den kompletten Text von Hitlers Werk begleiten soll. Pünktlich zum Auslaufen des Urheberrechts von "Mein Kampf" wollen die Forscher ihre Arbeit veröffentlichen. "Hier soll es nicht Hitler pur geben", stellt Institutssprecherin Simone Paulmichl klar. Alle Kapitel würden eingeordnet in ihre Ideengeschichte und die Widersprüche des Textes aufgedeckt. Für Paulmichl ist das IZF-Projekt eine wichtige Aufklärungsarbeit: "Je stärker dieses Buch zu einem Geheimnis erhoben wird, desto wirkmächtiger wird es im Zweifelsfall auch." Jurist Tim Hoesmann sieht das ähnlich: "Ich halte das für einen richtigen Schritt. Denn wenn das Buch komplett verboten wird, werden sich weiterhin viele Mythen um das Werk ranken."