Albanien im Bann des übersteigerten Nationalismus
22. Dezember 2011Vor etwa 15 Jahren habe es so ausgesehen, als wäre Albanien "eine einsame Insel im Meer der nationalistischen Extase des Balkans", bemerkt der Politologe Ermal Hasimja. In den letzten zwei Jahren stellt er jedoch fest, dass das nationalistische Vokabular in der Öffentlichkeit immer häufiger vorkommt: "Diese 'Krankheit' hat auch die Albaner ergriffen, wenn auch mit Verspätung, wie vieles in diesem Land." Und tatsächlich lässt sich in Albanien immer häufiger ein Rückzug in ethno-nationale Selbstdefinitionen sowie eine rückwärtsgewandte und populistische Politik beobachten.
In wie weit kann man in diesem Zusammenhang vom Rechtsextremismus oder Rechtsradikalismus in Albanien sprechen? "Die Entwicklungen, die in Albanien zu beobachten sind, können nicht eindeutig dem Rechtsradikalismus oder Rechtsextremismus zugeordnet werden, denn sie weisen nicht alle Merkmale dieser Phänomene im klassischen Sinne der Definition auf", meint die Soziologin Elda Hallkaj vom Albanischen Zentrum für Politische Bildung und Partizipation (CEAPAL).
Dennoch seien einige dieser Einstellungen innerhalb der albanischen Gesellschaft weit verbreitet - die Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, ein übersteigerter Nationalismus, eine Beschwörung äußerer Bedrohung oder das Leitbild einer ethnisch homogenen Volksgemeinschaft. Gesellschaftlich weit verbreitet seien auch rassistische Klischees in der Sprache, insbesondere bei Satiresendungen oder in der Literatur. "Solche Äußerungen legen dem Einzelnen bestimmte Meinungen, Stereotype und Wertungen nahe und bilden auch eine Grundlage für soziale Distanz und Diskriminierungsbereitschaft", sagt die Soziologin Hallkaj.
Soziale Distanz und Ausgrenzung
Doriana Veshi, Aktivistin einer Roma-Organisation und Redakteurin der Sendung "Roma on Air" beim Bürgerfunkradio "YouRadio", kennt die Probleme und die Schwierigkeiten, die sich aus den Ressentiments gegenüber den Roma ergeben. "Auch wenn es in Albanien keine rassistischen Übergriffe auf Roma oder andere Ausländer gegeben hat, wie sonst in dem einen oder anderen südosteuropäischen Land, ist es auch in Albanien um die Roma nicht gerade gut bestellt." Sie sind oftmals nicht gerade erwünscht und die soziale Distanz ist mit einer der Gründe, dass sie kein 'unbeschwertes' Dasein führen können, betont die Journalistin.
Im Prozess der Identitätsfindung nach der langen Isolierung während der Diktatur von Enver Hoxha, aber auch während der demokratischen Wende, haben Mythen sowie ein historisch geprägtes Bedrohungsempfinden Hochkonjunktur, meint der Historiker Artan Puto, Dozent an der Marin-Barleti-Universität in Tirana. Weit verbreitet, sogar bei der politischen und kulturellen Elite des Landes, ist zum Beispiel der Mythos von der Herkunft der Albaner als "ältestes Volk Südosteuropas". Wie andere Mythen diente und dient dieser vor allem der Selbstbehauptung gegenüber Vorurteilen der Nachbarn.
Der abgrenzende Charakter des ethnischen Nationalismus findet seinen konkreten Ausdruck in antislawischen und antihellenistischen Schriften und Parolen, die zum Teil als Reaktion auf antialbanische Ressentiments der Nachbarn zu erklären sind. Den Griechen oder den Serben wird oft eine Mitschuld an den Problemen des Landes angelastet, sagt Puto.
Nationalistische Bewegungen
Die Entwicklungen im Kosovo scheinen den Nationalismus in Albanien zu beflügeln, stellt die Publizistin Marjola Ruka fest. Extreme Einstellungen in Albanien kommen in erster Linie in Kombination mit Alternativbewegungen von Jugendlichen vor. Ein Beispiel dafür ist die politische Organisation "Vetëvendosje!" ("Selbstbestimmung"), die sich selbst als Bürgerbewegung versteht. Die Organisation mit Hauptsitz in Pristina macht Front für ihre großalbanische Ideologie und gegen den „verhassten“ serbischen Nachbarn.
Seit Anfang 2011 sitzt "Vetëvendosje!" im kosovarischen Parlament als drittstärkste Kraft. Ende September wurde Albin Kurti, Vorsitzender von "Vetëvendosje!", in seiner Funktion als Vorsitzender der Kommission für Auswärtige Angelegenheiten des Kosovo vom Präsidenten der Republik Albanien Bamir Topi empfangen. Beim Treffen sollen Kurti und Topi über die Notwendigkeit einer besseren Koordination der Außenpolitik beider Länder sowie einer gegenseitigen, sogar gemeinsamen Repräsentation nach außen, gesprochen haben.
Eine weitere politische Bewegung vertritt die großalbanische Ideologie und findet Anhänger vor allem unter den gut gebildeten jungen Menschen in Albanien - die nationalistische "Aleanca Kuq e Zi" (Allianz Rot-Schwarz). Die Allianz will den "unvollendeten Traum der albanischen Patrioten der nationalen Bewegung 'Rilindja'" bei der Ausrufung der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1912 in Erfüllung bringen. Damals verblieb die Hälfte der Albaner außerhalb der Grenzen des neuen albanischen Staates. Die Anziehungskraft dieser Organisationen auf die Jugendlichen erklärt sich die Publizistin Ruka mit der schwierigen wirtschaftlichen Situation und der fehlenden Entwicklung einer demokratischen Kultur im Lande: "Vielen jungen Menschen, die sogar ein Hochschulstudium in Westeuropa oder in der Türkei abgeschlossen haben, fehlt es in Albanien an Arbeitsplätzen und beruflicher Perspektive."
"Ein Volk, ein Pass"
Aktivisten von "Aleanca Kuq e Zi" sind nicht nur in Albanien, sondern auch im Kosovo, Mazedonien und in den albanischen Diasporen in Europa, vor allem bei den Studenten, tätig. Um möglichst große Bevölkerungsschichten zu erreichen und zu mobilisieren, reduzieren die Mitglieder der Allianz ihre politischen Botschaften auf Schlagwörter wie "Shqipëria mbi të gjithë" (Albanien über alle). In Kundgebungen und Medien treten sie mit Parolen wie: "Ein Volk, ein Pass" auf. Das ist Teil einer Kampagne zur Veränderung der bestehenden albanischen Verfassung, so dass jeder "ethnische" Albaner unabhängig von seinem Aufenthaltsort das Recht bekommt, die Staatsbürgerschaft des Mutterlandes zu erlangen.
In Mazedonien versucht die Allianz mit einer Kampagne unter dem Motto "Sprich nur Albanisch" Stimmung zu machen: "Wie die Albaner Mazedonisch sprechen sollen, so sollen auch die Mazedonier Albanisch sprechen", argumentiert die Allianz auf ihrer Internetseite. Sollte das nicht passieren, hat die Allianz auch eine Lösung parat: "Sprich Albanisch, oder lass dich scheiden".
Autor: Pani Pandeli
Redaktion: Blagorodna Grigorova