Dieser Mordprozess könnte die Wahl entscheiden
28. Januar 2020Ein nicht allzu großer, schmuckloser Saal in einem unauffälligen Gebäude am Rande eines Provinzstädtchens - darauf richtet sich in diesen Tagen die ganze öffentliche Aufmerksamkeit in der Slowakei. Hier, im Gebäude des Strafgerichtes Pezinok, ein halbe Autostunde nordöstlich von Pressburg (Bratislava), findet zur Zeit der Prozess um die Ermordung des Investigativjournalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnírová statt. Angeklagt sind der mutmaßliche Mörder und sein Komplize, eine Vermittlerin und der mutmaßliche Auftraggeber.
Es ist zweifellos der wichtigste Prozess in der postkommunistischen Geschichte der Slowakei. Lange Zeit glaubte kaum jemand im Land, dass er überhaupt stattfinden würde. Denn in den ersten Monaten nach dem Mord, der am 21. Februar 2018 verübt wurde, erwartete fast niemand, dass die Täter und ihre Auftraggeber gefunden würden.
Politik und organisierte Kriminalität Hand in Hand
Doch der Mordfall erschütterte die Slowakei wie kaum ein anderes Ereignis seit der Unabhängigkeit 1993 und änderte einiges im Land. Vor allem, dass niemand in Staat und Politik mehr wagte, Ermittler zu stoppen - so wie zuvor häufig bei politischen Verbrechen. "Die Ermittler haben hervorragende Arbeit geleistet", sagt der Journalist Árpád Soltész, der das "Investigativzentrum Ján Kuciak" (ICJK) leitet. "Aber es ist auch ein Erfolg der zivilgesellschaftlichen Proteste, dass dieser Prozess stattfindet."
Deshalb geht es im Prozess in Pezinok nun nicht einfach um einen furchtbaren politischen Mordfall. Vor Gericht steht vielmehr ein ganzes System - eines, in dem sich Politik und organisierte Kriminalität jahrelang die Hand gaben. Und das ausgerechnet wenige Wochen vor der Parlamentswahl am 29. Februar. Sie ist seit der Abwahl des autoritär-nationalistischen Meciar-Regimes 1998 die wohl wichtigste Wahl. Ihr Ergebnis entscheidet darüber, ob der tiefen gesellschaftlichen Erschütterung nach dem Mord auch grundlegende politische Änderungen folgen werden.
Wie notwendig sie sind, führten den slowakischen Bürgern die Ermittlungen der vergangenen Monate und nun auch die ersten Prozesstage vor Augen. Bereits vor knapp einem Jahr wurde gegen den 56-jährigen Geschäftsmann Marian Kocner Anklage erhoben, weil er den Mord an Kuciak in Auftrag gegeben haben soll. Kuciak hatte immer wieder über Kocners betrügerische Immobilien- und Finanzgeschäfte berichtet, Kocner hatte den Journalisten deshalb offenen bedroht - ohne dass die Polizei Maßnahmen zu seinem Schutz ergriff.
Über Kocners schmutzige Geschäfte wurde lange Zeit viel gemutmaßt. In welchem Ausmaß er Politik und Justiz in der Slowakei kontrollierte, kam Stück für Stück seit August vergangenen Jahres heraus, als die Tageszeitung "Denník N" begann, Chat-Protokolle der Smartphone-Anwendnung Threema zu veröffentlichen, über die Kocner bevorzugt kommuniziert hatte. Dabei kam mit jeder Veröffentlichung Erschreckenderes zutage.
Flächendeckende Bestechung
Der Geschäftsmann hatte sich ein großes Netzwerk aus Politikern, hochrangigen Beamten in Regierung und Polizei, Richtern, Staatsanwälten, Journalisten und Geheimdienstmitarbeitern geschaffen. Er bestach sie, dafür deckten sie seine Betrügereien, vertuschten Ermittlungen gegen ihn oder schrieben positiv über ihn. Der wohl schlimmste Fall wurde erst vor wenigen Wochen publik: Kocner hatte zusammen mit dem von 2004 bis 2011 amtierenden Generalstaatsanwalt Dobroslav Trnka in dessen Amtssitz Erpressungen geplant und mit ihm dort eine versteckte Kamera installiert. Teils behandelte Kocner den Generalstaatsanwalt in rüder Weise wie einen Untergebenen.
Auch in den jetzigen Prozess-Tagen kam viel Schmutziges an die Oberfläche. So berichtete der Ex-Geheimdienstmitarbeiter und Ex-Journalist Péter Tóth, der für Kocner arbeitete, freimütig davon, wie er mit Hilfe von Polizisten und Geheimdienstlern eine Reihe von Journalisten ausspionierte, auf die Kocner es abgesehen hatte, darunter auch Ján Kuciak.
Der Eindruck der Öffentlichkeit: die politische Realität im Land ist monströser als jeder Mafia-Film. Peter Bárdy, der Chefredakteur des Portals "aktuality.sk", bei dem Ján Kuciak arbeitete, drückt es so aus. "Was in den letzten Monaten herauskam, bedeutete faktisch den Kollaps unserer Justiz. Wenn sich nichts ändert, ist es das Ende unserer Demokratie."
Es ist ungewiss, ob die Parlamentswahl Ende Februar dazu beitragen wird. In jedem Fall zeigt sich, dass die Ermittlungen der vergangenen Monate und der Mordprozess die Parteienlandschaft durcheinander wirbeln. Nicht unbedingt zum Guten. Die regierende, nominell sozialdemokratische SMER des Ex-Premiers Robert Fico, die für die Verquickung von Politik und organisierter Kriminalität in großem Maße mitverantwortlich ist, verliert langsam an Zuspruch. Neuere demokratische Parteien wie die links-sozialliberale "Progressive Slowakei" (PS), die der Staatspräsidentin Zuzana Caputova nahesteht, legen in Umfragen zu.
Den steilsten Aufstieg verzeichnet jedoch die rechtsextreme Partei "Kotlebovci-LSNS" des Neonazi-Führers Marian Kotleba. Sie kommt in Umfragen auf bis zu 14 Prozent, fast doppelt so viel wie nach der Wahl 2016. Dabei profitiert sie vor allem von der Politikverdrossenheit und Anti-Establishment-Haltung junger Menschen. Robert Fico hat an Kotlebas Adresse bereits Signale für eine Zusammenarbeit gesandt - etwa in dem er antiziganistische Äußerungen eines verurteilten LSNS-Abgeordneten rechtfertigte.
"Unser Land bräuchte radikale demokratische Veränderungen", fasst der Politologe Grigorij Meseznikov vom "Institut für öffentliche Angelegenheiten" (IVO) in Pressburg die ungewisse Lage zusammen. "Allerdings ist das demokratische Parteienspektrum sehr zersplittert. Ich fürchte, der Wandel in der Slowakei wird in jedem Fall ein langwieriger Prozess."