Aus Streetwear wird Haute Couture
30. Juni 2016Noch bis zuletzt feilt Karen Jessen in ihrem Neuköllner Atelier an ihren Ausstellungsstücken. Die junge Berliner Designerin kauert auf einem Hocker und flicht feine Stofffäden zu einem dünnen Zopf. Ursprünglich war das mal eine Jeanshose. Jetzt sieht es sehr stark nach einem Rock aus.
150 Arbeitsstunden hat Jessen investiert, um die Jeanshose umzuwandeln in ein völlig neues Kleidungsstück. "Es geht mir darum, Streetwear in Haute Couture umzuwandeln und aus der gewöhnlichen Alltagskleidung etwas besonderes zu machen", erklärt Jessen ihre Arbeit.
Upcycling heißt das in der Fachsprache der Modeleute. Die Jeans kommt nun in einer anderen Haptik daher: "Normalerweise sind Jeans hart und fest. Ich habe das jetzt aufgelöst", sagt Jessen und streicht mit der Hand durch die weichen Fäden.
"Sustainability & Style" ist der etwas beliebige Titel eines deutsch-amerikanischen Modeprojekts, für das Jessen und drei weitere deutsche Nachwuchsdesigner ausgewählt wurden. Große amerikanische Modelabels wie Calvin Klein und Tommy Hilfiger, Levis sowie das holländische Label G-Star Raw haben den Designern Jeansstoffe zur Verfügung gestellt mit der Auflage, die Jeans künstlerisch neu zu interpretieren. Außer Jessen sind die Jungdesigner Kathleen König, Nobi Talai und Vladimir Karaleev Teil des von der "Fashion Council Germany" und der US-amerikanischen Botschaft initiierten Projekts.
Mode in der US-Botschaft
Die US-Botschaft in Berlin ist dementsprechend auch der Ort, wo die Neuschöpfungen der deutschen Designer ausgestellt werden. "Wir wollen den kulturellen Austausch zwischen jungen deutschen Designern und globalen Brands fördern", so Kimberley Marteau Emerson, Ehefrau des US-Botschafters, im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Ob die großen Modelabels die Anregung der Deutschen auch wirklich aufnehmen, das steht auf einem anderen Blatt. "Wir haben hier für etwas den Grund gelegt und können nur hoffen, dass die Saat aufgeht", gibt sich die Frau des Botschafters zuversichtlich. Mitarbeiter der Labels sind in jedem Fall schon mal vor Ort.
Das Projekt findet anlässlich der Mercedes-Benz Fashion Week Berlin statt, die sich bereits in den vergangenen Jahren für "grüne Mode" stark gemacht hat und damit auch versucht, sich von den großen Schwestern in Paris, Mailand und New York zu unterscheiden.
Der Andrang von Modeexperten und Berühmtheiten, wie der Filmschauspielerin Nina Hoss, in den Räumen der US-Botschaft ist groß: Es ist das erste Mal, dass sich große internationale Modelabels mit einem Projekt zur Nachhaltigkeit in ihrer Branche bekennen.
Grüne Mode aus Berlin als Protest gegen die Modeindustrie
Für Karen Jessen ist das eine einmalige Chance: "Die Modeindustrie, so wie sie funktioniert, ist total ungesund", empört sie sich. Rasanter Verbrauch von Ressourcen, miserable Arbeitsbedingungen in den Fabriken gingen einher mit einem immer schnelleren Tempo.
Jessen möchte sich mit den in stundenlanger Handarbeit gefertigten Röcken und Kleidern von den gängigen Praktiken in der Modeindustrie abheben: "Durch Schnelllebigkeit verlieren Kleidungsstücke an Seele und Identität", ist sie überzeugt und möchte eben diese Werte durch ihre Arbeit wieder zurückbringen.
Ob Modelabels wie Calvin Klein oder Tommy Hilfiger dafür die besten Partner sind, bleibt fragwürdig. Denn sie stehen genau für das, was die junge Berliner Designerin verabscheut. Doch gleichzeitig ist für Jessen "jeder Schritt in Richtung Nachhaltigkeit ein richtiger Schritt".
Mode ist Kultur
Veranstaltungen wie diese sollen den Modestandort Berlin unverwechselbar machen, so Christiane Arp, Chefredakteurin des Modemagazins "Vogue", im Gespräch mit der Deutschen Welle. Arp ist die treibende Kraft hinter dem deutsch-amerikanischen Projekt. Wie in Frankreich oder Italien müsse auch hierzulande Mode Teil der Kultur werden, wünscht sie sich. "Glauben sie mir, ich bin weltweit in vielen Showrooms zugegen und habe diese Art des Designs noch nicht gesehen", schwärmt sie über die Denim-Kreationen der vier deutschen Designer.
Berlin als Modestandort stärken
Berlin als Modestandort befindet sich in einem harten Wettbewerb und hat in den letzten Jahren auch an Boden verloren. Es mache keinen Sinn, London, Paris oder New York nachzueifern, so Arp. Diese Städte gebe es bereits, sie haben ihren festen Platz auf der internationalen Modeagenda. "Wir müssen Berlin mit etwas anderem aufladen. Und das ist Nachwuchsdesign. Ohne das gibt es unsere Branche bald nicht mehr. Das ist die Essenz."