Der Mars liegt - derzeit - auf Hawaii
24. August 2015Weit und breit nur rötliches Gestein - keine Pflanzen, keine anderen Menschen und kein Tropfen Wasser ringsum. Ja, hier oben auf Mauna Loa, einem von Big Islands Vulkanen, sieht es in etwa so aus, wie man sich den Mars vorstellt.
Naja gut, der Himmel ist nach wie vor blau, man fühlt sich genauso schwer wie sonst auch, braucht keinen Druckanzug - und atmet einfach so frische Luft. Ab und zu fliegt eine Biene vorbei, und weiter im Norden glänzen die Teleskope auf dem Nachbarvulkan Mauna Kea - also sind da doch irgendwo noch andere Menschen. Davon abgesehen, scheint scheint dieser Ort für eine Marsreisesimulation ideal.
"Sogar die Geologie hier ist marsähnlich", sagt Physikerin Kim Binsted von der University of Hawaii at Manoa, die regelmäßig mit ihrem Pickup aus der Stadt Hilo herkommt. "Außerdem ist das hier einer der wenigen Orte auf Hawaii, von dem aus man das Meer nicht sehen kann."
Sechs Menschen für zwölf Monate unter sich
Hier am Nordhang des Mauna Loa, in etwa 2500 Meter Höhe, steht zwischen all den Steinen noch etwas: ein kreisrunder, kuppelförmiger Zeltbau, elf Meter im Durchmesser, daneben Solarmodule und ein Kasten, den Kim als Notstromaggregat vorstellt.
In das Zelt - "Habitat" genannt - werden bald sechs Menschen einziehen: die Crew des Experiments HI-SEAS (Hawaii Space Exploration Analog and Simulation), das die University of Hawaii gemeinsam mit der NASA durchführt. Kim leitet die Missionen, von denen es bereits drei gab. Die ersten beiden dauerten vier Monate, die Dritte acht - und die kommende wird ganze zwölf Monate dauern. Das Habitat bleibt gleich, nur die Crew ist jedes Mal eine andere.
Im vergangenen Juni ist die Crew der letzten Mission ausgezogen, am 28. August werden sechs neue "Astronauten" einziehen. Darunter die deutsche Physikerin und Ingenieurin Christiane Heinicke, Absolventin der Technischen Universität Ilmenau und der Uppsala-Universität in Schweden. Sie sei derzeit ganz schön im Stress, sagte die 29-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. "Der Wecker klingelt immer viel zu früh und es gibt noch so viel zu erledigen!"
Ihren Mietvertrag hat sie gekündigt, auf dem Dachboden ihrer Eltern in Bitterfeld in Sachsen-Anhalt lagern ihre Habseligkeiten. Ihre Familie sei anfangs wenig begeistert von ihrem Plan gewesen. "Du bist verrückt", hätten ihre Eltern gesagt. Jetzt aber seien sie doch stolz auf sie.
Das dritte Viertel scheint besonders schwer
Die Simulation HI-SEAS will einige der ungelösten Fragen klären, welche eine Reise zum Mars bisher unmöglich machen, erzählt Missions-Leiterin Kim: Zum Beispiel, ob eine Gruppe damit klarkommt, viele Monate alleine zu leben - zunächst im Raumschiff und dann auf einem unbewohnten Planeten.
"Wir wollen beispielsweise herausfinden, ob das Drei-Viertel-Syndrom tatsächlich existiert", sagt Kim. Es heißt, im dritten Viertel einer solchen Mission erkrankten die Astronauten besonders leicht an einer Depression. "Aber stimmt das auch? Und wenn ja, ist es wirklich das dritte Viertel? Oder vielleicht der dritte Monat?" Dafür wollen die Forscher mehrere Crews vergleichen, die nacheinander unterschiedlich lange auf Mauna Loa leben.
Ohne Streit und Depressionen
Auch Konflikte sind ein Thema. Um sie objektiv zu untersuchen, tragen die Crew-Mitglieder Sensoren, die die Lautstärke ihrer Stimmen und den Abstand zueinander messen. "Astronauten sind sehr stoische Menschen", erklärt Kim, "wenn man sie fragt, wie es gerade läuft, sagen sie stets 'alles super'! Wenn es also doch einmal zu einem Streit kommt, hat es wahrscheinlich schon eine ganze Weile gebrodelt." Mit den Sensoren wollen die Forscher Konflikte bereits im Anfangsstadium erfassen - auch ohne, dass eines der Crew-Mitglieder darüber redet.
In den bisherigen drei Missionen kam es weder zu größeren Streits noch zu schlimmen Depressionen. Aber das verwundert Kim nicht: Es sei bekannt, wie wichtig es ist, die richtige Crew für eine Marsmission auszuwählen, um so etwas zu vermeiden.
Kim liebt Marsreisefilme, sagt sie. Aber eines mache sie alle unrealistisch: "Filme brauchen menschliches Drama, also vor allem Konflikte in der Crew. In Wirklichkeit wählen wir unsere Crews aber so aus, dass es so wenig Drama wie möglich gibt." Also ganz anders, als es bei einer Reality-Show der Fall wäre.
Alleine zwischen Steinen
Nur über zeitverzögerten E-Mail-Kontakt mit der Außenwelt verbunden, bekommen die sechs Crew-Mitglieder keinen Menschen außer einander zu Gesicht. Die Crew verlässt das Habitat etwa zweimal die Woche, um Gesteinsproben zu nehmen oder Lavaröhren in Augenschein zu nehmen. Jeden "Außeneinsatz" müssen sie vorher mit der "Bodenstation" abstimmen.
Für diese Außeneinsätze hat Neuzugang Christiane Heinicke schon gute Bergstiefel eingepackt - wegen des scharfkantigen Lavagesteins. Sie will experimentieren, wie sich durch Verdunstung Wasser aus dem Gestein gewinnen lässt. Eine Frage, die bei einer echten Marsmission überlebenswichtig sein könnte.
Dafür, dass sechs Menschen permanent darin leben, wirkt das Habitat recht klein. Obwohl es größer ist, als es scheint, denn es ist innen noch eine zweite Ebene eingebaut. Trotzdem: Zwölf Monate zusammen auf so engem Raum zu leben, erfordert viel Einfühlungsvermögen und Frustrationstoleranz.
Trotz aller Entbehrungen waren sich bislang alle Crew-Mitglieder der letzten Mission einig, noch immer gerne zum Mars fliegen zu wollen. Ob Christiane Heinicke nach einem Jahr das gleiche sagen wird? Im Moment jedenfalls versichert sie, dass sie gerne mit von der Partie wäre. "Aber nur, solange es ein Rückflugticket gibt."