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Mühsamer Kampf gegen Kleinwaffen

Alois Berger29. August 2014

Deutsche Sturmgewehre, Pistolen und Panzerfäuste für kurdische Kämpfer im Nordirak: in den falschen Händen, eine tödliche Gefahr. Eine Verbreitung solcher Kleinwaffen versucht die Bundeswehr eigentlich zu verhindern.

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Pistolenkiste bei der Durchsuchung durch das Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundesswehr in Geilenkirchen - Foto: Alois Berger (DW)
Bild: DW/A. Berger

Der kleine, unterirdische Raum ist unordentlich und voll von gefährlichem Gerät: An der linken Wand stapelt sich ein Dutzend Holzkisten, vermutlich Munition, möglicherweise Handgranaten. Im Regal gegenüber liegen kreuz und quer 50, vielleicht 60 Gewehre. Dazwischen, auf dem Boden, Maschinenpistolen, Flugabwehrgeschosse, offene Kisten mit Pistolen aller Art. Alles durcheinander, teils geladen, teils ungeladen. Zum Glück ist dieses Depot nicht echt, es dient nur Übungszwecken, aber es ist detailgetreu nachgebaut. "Solche chaotischen Waffenlager finden wir sehr oft," sagt Oberstleutnant Heiko Lambert vom Dezernat für globale Rüstungskontrolle der Bundeswehr in Geilenkirchen in Nordrhein-Westfalen. "Sie sind eher die Regel als die Ausnahme."

Lambert hat schon viele Waffendepots gesehen, in Moldawien, in Tadschikistan, Turkmenistan; demnächst reist er in den Sudan. Gut 100 mal im Jahr schickt das Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr hoch spezialisierte Einsatzgruppen los, oft im Auftrag der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Da geht es dann etwa in Russland oder in der Ukraine darum, zu kontrollieren, ob sich Regierungen und Militärs an die internationalen Verträge halten.

Auch Panzerfäuste gelten als Kleinwaffen

Doch weit öfter reisen Oberstleutnant Lambert und seine Kollegen in weniger spektakulärem Auftrag. Bei den sogenannten Bewertungsbesuchen nehmen sie Waffendepots und Munitionslager befreundeter Armeen unter die Lupe. Offiziell werden die Inspekteure von Ländern wie Moldawien oder Tadschikistan freiwillig eingeladen, in Wirklichkeit drängen Bundeswehr und Auswärtiges Amt die Regierungen dort, die Inspektionen zuzulassen. Denn schlecht gesicherte Waffenlager sind eine der Ursachen für die rasante Verbreitung von Pistolen und Gewehren, Granaten und Panzerfäusten. "Weltweit gibt es etwa eine Milliarde Kleinwaffen," schätzt Heiko Lambert, "und ein gehöriger Teil davon ist durch Diebstahl und mangelhafte Kontrolle in falsche Hände geraten."

Bundeswehrsoldaten bei der Inspektion eines Waffenlagers - Alois Berger (DW)
Bundeswehrsoldaten bei der Inspektion eines Waffenlagers: Alles durcheinander, teils geladen, teils ungeladenBild: DW/A. Berger

Als Kleinwaffe gilt alles, was ein oder zwei Männer mit sich herumtragen können. Jeden Tag sterben mehr als 1000 Menschen durch solche Waffen, dreimal so viele werden verletzt. Um zu illustrieren, wie leichtsinnig in vielen Ländern mit dem tödlichen Arsenal umgegangen wird und wie so eine Inspektion dann aussieht, hat die Bundeswehr ein altes Munitionsdepot bei Geilenkirchen nach moldawischem Vorbild ausgestattet: mit ungesichertem Zaun, verrosteten Schlössern an den Bunkereingängen, defekter Beleuchtung und völlig überforderter Zwei-Mann-Bewachung für das ganze Areal. Und mit chaotisch wirkenden Waffenkammern.

Das Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr weist seit Jahren auf die Gefahren hin, die von schlampig geführten Waffenlagern ausgehen. Nicht nur Kriminelle, auch Terroristen hätten oft leichtes Spiel. Vor allem in Osteuropa, aber zunehmend auch in Afrika versucht die Bundeswehr deshalb, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es sowohl Regierungen als auch die Soldaten selbst gefährdet, wenn sie auf ihre Waffen nicht aufpassen.

Bewusstsein schaffen für die Gefahr

Für Oberstleutnant Kerstin Bekaan heißt das Schlüsselwort Live-Cycle-Management, also Kontrolle und Betreuung einer Waffe, solange sie funktionsfähig ist - möglicherweise Jahrzehnte lang. In den Kursen und Seminaren, die Bekaan in vielen Ländern vor Offizieren und Regierungsbeamten hält, redet sie nicht nur über die sachgerechte Lagerung der Waffen, sondern auch über eine lückenlose Buchführung. "Es geht darum, klar zu machen, dass mit der Kaufentscheidung für eine Waffe auch die langfristige Entscheidung verbunden ist, wie damit umzugehen ist, damit nichts abhandenkommt und keine Gefahr für einen selbst entsteht."

Kerstin Bekaan macht keinen Hehl daraus, dass es in vielen Regionen dieser Welt äußerst mühsam ist, Gehör zu finden für solche Überlegungen. Aber es gebe keine Alternative, meint die Soldatin, als immer wieder auf die Gefahr hinzuweisen, die von schlecht kontrollierten Waffen ausgeht. Man brauche eben viel Geduld: "Wir arbeiten daran, die Idee des Live-Cycle-Managements in verschiedenen Ländern zu etablieren, und wir bieten dafür unsere Ausbildung an."

Nachbau eines moldawischen Munitionsdepots in Geilenkirchen - Foto: Alois Berger
Nachbau eines moldawischen Munitionsdepots in Geilenkirchen: Ungesicherter Zaun, verrostete SchlösserBild: DW/A. Berger

Doch Bekaan hat noch eine andere Hoffnung: dass nämlich die Rüstungsindustrie die Waffen mit elektronischen Sicherungssystemen ausstattet. Technisch wär es längst möglich, beispielsweise einen Chip einzubauen, mit dem sich jedes einzelne Gewehr per Satellit orten ließe. Zudem sind manche Minen so konstruiert, dass sie nur begrenzt brauchbar sind. Nach Ablauf einer vorgegebenen Zeit funktionieren die Sprengkörper einfach nicht mehr. Ähnlich könnte man auch Gewehre und Munition mit einem technischen Verfallsdatum ausstatten. Bei heiklen Rüstungsexporten, wie sie derzeit etwa für die Kurden in ihrem Kampf gegen die Terrororganisation "Islamischer Staat" diskutiert werden, wäre dann die Gefahr deutlich kleiner, dass die Waffen später für andere Zwecke missbraucht werden.

Wenig Interesse an Waffen auf Zeit

Doch die nötige Forschung steckt noch in den Kinderschuhen. Die Rüstungsindustrie habe ganz offensichtlich kein Interesse an der Entwicklung solcher Systeme, meint Oberstleutnant Bekaan, die meisten Waffenkunden wünschten keine zeitliche Begrenzung. Brigadegeneral Jürgen Beyer, der Chef des Zentrums für Verifikationsaufgaben, sieht auch bei den meisten Regierungen keine Begeisterung für begrenzt haltbare Waffen. "Natürlich sollten wir daran arbeiten", unterstreicht Beyer, im Kampf gegen die illegale Verbreitung von Kleinwaffen wäre das sicher nützlich. "Aber da sind wir im Bereich der Hochtechnologie, und das ist dementsprechend teuer."

Sollte die Bundesregierung in den nächsten Wochen tatsächlich Waffen an die Kurden liefern, dann wird es keine Garantie geben, dass die Gewehre und Panzerfäuste nicht später ganz woanders wieder auftauchen. Brigadegeneral Breyer hat wenig Hoffnung, dass seine Inspektoren jemals Gelegenheit bekommen werden, auch nur die sachgemäße Lagerung und Bewachung im Nordirak zu kontrollieren: "Das Gebiet ist nicht Bestandteil irgendeines Vertrages, in dem wir tätig werden können. Das ist außerhalb unserer Befugnisse."