UNO oder USA Europas
6. Juli 2011Nach einer ganzen Reihe eher lustloser Ratspräsidentschaften stand mit dem Polen Donald Tusk wieder ein Mann vor dem Parlament, der europäische Begeisterung und Überzeugung versprühte. Leidenschaftlich verwies Tusk immer wieder auf die jüngste Geschichte seines Landes. "Für alle Europäer, die Jahrzehnte in Armut und Sklaverei gelebt haben, ist die heutige Krise zwar eine wichtige Herausforderung, aber nicht entscheidend. Die damalige Krise haben sie dank der Solidarität ganz Europas überwunden." Und mit derselben Solidarität werden sich seiner Meinung nach auch die heutigen Probleme lösen lassen. Die Lösung sei mehr Integration. Sein Vorgänger, der Ungar Viktor Orban, hatte sich dagegen bitter über Brüsseler Einmischungen beschwert.
"Der beste Ort der Erde"
Tusk rief die Europäer auf, mit einem Perspektivwechsel den um sich greifenden Pessimismus zu überwinden. "Manchmal hören wir auf zu glauben, dass dies der beste Ort der Erde ist. Aber alle außerhalb der Europäischen Union wissen, dass dies der beste Ort auf der Erde ist." Klar, dass für jemanden wie Tusk die Wiedereinführung von Grenzkontrollen in Dänemark genau die falsche Richtung ist. Auch Kommissionspräsident José Manuel Barroso wurde an dieser Stelle ungewöhnlich deutlich. "Wer die Freizügigkeit untergräbt, gefährdet den Binnenmarkt, die Solidarität unter den Europäern und das europäische Projekt an sich", so Barroso unter Applaus.
Bundesstaat oder Staatenbund?
Viele Redner glauben offenbar, dass sich im Moment in der Europapolitik etwas sehr Grundsätzliches entscheidet: Entwickelt sich Europa zum Bundesstaat weiter oder wird die europäische Einigung wieder zurückgedreht? Guy Verhofstadt, Fraktionschef der Liberalen, sieht es so: "Werden wir zur UNO Europas oder zu den USA Europas? Werden wir zu einem losen Verbund, so wie es die Euroskeptiker wollen, bei dem die Nationalstaaten wieder die Hauptrolle spielen, oder werden wir wirklich zu einer politischen und wirtschaftlichen Union?" Nur sie, glaubt Verhofstadt, kann Wohlstand sichern und Frieden und Stabilität in der Welt schaffen.
Europaparlament und Kommission abschaffen
Aber auch das Europaparlament besteht nicht nur aus Integrationisten. Der Brite Nigel Farage von der UK Independence Party würde am liebsten das Parlament, in dem er selbst sitzt, die Kommission und den Europäischen Gerichtshof abschaffen und das Feld ganz den Nationalstaaten überlassen. Und deshalb kann er auch die Erfahrungen von Tusk und dessen Landsmann, Parlamentspräsident Jerzy Buzek, nicht verstehen. "Sie können über die Gewerkschaftsbewegung Solidarität reden und über Polen, das vor 20 Jahren seine Demokratie wiedererlangte. Und jetzt geben Sie Demokratie und Souveränität Polens auf an eine gescheiterte Europäische Union." Das ist eine extreme Stimme, aber nicht die einzige. Doch Tusk bekam ganz überwiegend Lob. Und manche Abgeordneten zeigten offen ihre Erleichterung, dass es unter den Staats- und Regierungschefs noch derart überzeugte Europäer gibt.
Autor: Christoph Hasselbach
Redaktion: Anne Allmeling