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Glaube

Der Leib Christi schmeckte fade

14. April 2023

Wenige Feste prägen die katholische Sozialisation so sehr wie der Empfang der ersten heiligen Kommunion. Dabei können gerade die kleinen Enttäuschungen wichtig sein auf dem Weg zum erwachsenen Glauben.

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Bild: Goran Jakuš/IMAGO

Der erste Sonntag nach Ostern wird in der katholischen Kirche der „Weiße Sonntag“ genannt und traditionell gehen da die Jungen und Mädchen zur „Kinderkommunion“ – so heißt das Fest noch heute bei mir daheim am Niederrhein. Der Begriff ist etwas irreführend: Es geht gerade nicht um Verniedlichung. Die „erste heilige Kommunion“, so heißt der Ritus theologisch korrekt, ist ein katholischer Initiationsritus. Auf dem Weg zum mündigen Christ-Sein ist das gemeinsame Essen des Mahles, das Jesus selbst gestiftet hat, ein wichtiger Schritt.

 

Vorbereitung wie zur Mondlandung

Trotz dieser theologischen Vorbemerkung: Meine „Kinderkommunion“ war eine Art Kindergeburtstag XXL. Zu keinem anderen Fest waren so viele Menschen in unserem frisch gebauten Eigenheim in Kempen zusammengekommen. Und für kein anderes Fest wurde mir ein eigener Anzug gekauft. Und überhaupt: Mehrere Monate zuvor begann der „Kommunionsunterricht“ - eine Art Crashkurs im Christsein. Ich habe mich richtig reingekniet; irgendwie war ich damals wohl noch etwas anfälliger fürs Heilige als heute. Ich sehnte den Tag herbei, an dem ich ihn empfangen durfte: den Leib Christi. Dass wir so sehr darauf vorbereitet wurden, wie Astronauten auf ihre erste Mondlandung, erhöhte meine Erwartung immens.

Ein erster Dämpfer: Bei der letzten Versammlung aller Kommunionkinder fragte unsere Gemeindereferentin rhetorisch-pädagogisch säuselnd: „Was ist denn das Wichtigste an dieser Feier?“ Und der Sohn unserer Nachbarn rief wie aus der Pistole geschossen: „Na, die Geschenke“. Es dachten wohl nicht alle so fromm wie ich. Noch heute erinnere ich mich, wie die Gesichtszüge unserer Gemeindereferentin entglitten: „Bei der Kommunion geht es um Christus!! Um CHRISTUS!“

 

Bitte keine Schmuckbibel

Ich konnte da gut mitgehen. Schon vor der eigentlichen Feier hatte ich nämlich das Thema Geschenke für mich abgeschrieben. Denn: Ich hatte mir sehnlichst einen Elefanten gewünscht. Und ich konnte gar nicht nachvollziehen, dass meine Eltern diesen Wunsch nicht erfüllen wollten. „In der Garage ist doch Platz genug“, jammerte ich. Und als ich gefragt wurde, ob ich stattdessen dieselbe große Schmuckbibel mit Goldrand haben wolle, wie meine Schwester zwei Jahre zuvor, entgegnete ich patzig: „Wenn schon kein Elefant, dann Grzimeks Enzyklopädie der Säugetiere.“

Aber: Wie sagte schon die Gemeindereferentin? Bei der ersten Kommunion geht es nicht um die Geschenke, sondern um Christus. Und so trübte meine enttäuschte Geschenkerwartung vielleicht meine Vorfreude minimal, aber nicht wesentlich, als ich am Weißen Sonntag vor 35 Jahren in einer Prozession mit den anderen Kommunionkindern in die Kirche einzog. Wir hatten Ehrenplätze im alten Chorgestühl in der Kempener Paterskirche. Und ich schaute mit gefalteten Händen herüber zur Statue der Katharina von Alexandrien, die mich mit dem Rad im Arm hölzern, aber streng musterte.

 

Der heilige Moment naht

Gebannt lauschte ich der Predigt des Pfarrers – natürlich theologisierte er kindgerecht über den Leib Christi. Und als dann die Wandlung einsetzte, fühlte ich, dass jetzt etwas Heiliges begann. Wie die Zündraketen der Apollomission: die Einsetzungsworte. „Das ist mein Leib, der für Euch hingegeben wird.“ Glöckchen erklangen, wie ein Tusch aus Himmelsferne.

Das Hochgebet schritt voran, bis die Gemeinde zusammen kniend betete: „Herr ich bin nicht würdig, dass Du eingehst unter mein Dach.“

Und dann kam der Moment, als ich den Leib Christi, in meinen Mund legte. Auch wenn wir vorher schon die Oblaten probiert hatten, so erwartete ich doch gerade jetzt, dass sich da irgendetwas tun würde - der Himmel sich öffne oder sonst was. Irgendetwas Magisches. Etwas Heiliges. Denn warum sonst ließ man uns so lange darauf warten?

 

Keine Seelenexplosion

Und dann biss ich zu. Und ich weiß nicht, ob ich das damals schon so hätte in Worte fassen können, aber das Wort trifft es am besten: Der Leib Christi schmeckte ... fade.

Das war kein magischer Moment. Kein Geschmacksknospenerlebnis oder eine innere Seelenexplosion, die da stattfand. Ich war enttäuscht: Das sollte es gewesen sein? Irgendwie hatte ich mir mehr versprochen. So eine monatelange Vorbereitung und dann keine spirituelle Mondlandung, sondern: einfaches Brot. Aus der Zauber. Irgendwie war die Magie dahin.

Heute sage ich mir: Das war auch gut so. Die Erstkommunion ist das Fest, an dem die katholische Kirche sagt: „Du gehörst jetzt zu den Großen.“ Und zum Glauben der Großen gehört, dass man sich vom Magischen löst, von falschen und überhöhten Erwartungen. Denn Glauben ist kein Hexenwerk. Und das Geheimnis des Leibes Christi kann man nicht herausschmecken, wie die Genialität in einem Drei-Sterne-Menü.

 

Nähe im Unscheinbaren

Das Geheimnis Gottes liegt allzu oft im Unscheinbaren, im Faden. Ja, sogar in den Enttäuschungen. Denn gerade hier sagt Gott: „Ich bin da.“ Und genau das hat Jesus ja auch gesagt, als er beim Abendmahl das Brot nahm und es seinen Jüngern reichte und darauf zeigte: „Hier: Ich bin da.“ Dieses „Hier: ich bin da“ – das habe ich bislang öfter erfahren dürfen. Meist ebenso unscheinbar wie die Erfahrung, dass dieser Leib Christi kaum nach etwas schmeckt. Aber es stärkt mich. Und ich habe über die Jahre Geschmack daran gefunden.

Und daher gehe ich heute noch immer zur Kommunion. Nicht enttäuscht darüber, dass sie fade schmeckt, sondern eher froh. Denn ich weiß ja: auch im Faden, im Unscheinbaren – ist er da.

 

Klaus Nelißen

Der Autor ist stellvertretender Rundfunkbeauftragter der NRW-Diözesen beim WDR. Der Pastoralreferent und Journalist studierte Diplomtheologie in Münster und Berkeley, Kalifornien.