Der lange Kampf um Aleppo
3. August 2016Der Angriff endete nach wenigen Tagen. Am Wochenende hatten die islamistisch geführten Rebellen in Aleppo versucht, den von den Truppen des Assad-Regimes gezogenen Belagerungsring zu durchbrechen. An einigen Stellen schien das zunächst zu gelingen: Die Dschihadisten brachten einige strategisch wertvolle Stellungen in ihre Gewalt. Doch am Mittwoch kam dann die Nachricht, die Regierungstruppen hätten die Positionen wieder eingenommen, die Gegner seien vertrieben.
Womöglich ist ihre endgültige Niederlage damit besiegelt. "Die Schlacht ist die letzte Chance für die Rebellen", hatte Rami Abdel Rahman, der Leiter der in London ansässigen und als zuverlässig geltenden "Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte" zu Beginn der Kämpfe erklärt. "Wenn die Rebellen diese Schlacht verlieren, wird es schwierig für sie, einen neuen Angriff zu starten."
Luftangriffe die ganze Nacht
Offenbar waren und sind sich auch die Kommandeure der Assad-Truppen über die strategische Bedeutung der Stadt im Klaren. Sie setzten den Gegnern mit aller Kraft zu. Sowohl syrische als auch russische Kampfflugzeuge waren in die Kämpfe eingebunden. "Die Luftangriffe und Bombardements dauerten die ganze Nacht bis zum Dienstagmorgen an", berichtet ein Augenzeuge der Zeitung "Al araby al-jadeed".
Die Flugzeuge griffen mehrere Viertel der Stadt an. Mit dem Dauerbeschuss unterstützten sie die Bodentruppen, insgesamt 5000 Mann, zu denen außer den Soldaten der syrischen Armee auch Kämpfer aus dem Iran sowie der libanesischen Hisbollah gehören. Rund 50 Dschihadisten kamen bei den Zusammenstößen ums Leben. Auch auf Seiten der Regierungstruppen starben zahlreiche Menschen.
Wie hart die Kämpfe geführt werden, deuten die jüngsten Berichte über den Einsatz chemischer Kampfstoffe an. Nachdem in der Provinz Idlib ein vermutlich russischer Hubschrauber samt fünfköpfiger Besatzung abgeschossen worden war, soll das Regime dort Giftgase eingesetzt haben. Das sei durchaus vorstellbar, sagt Christoph Reuter, Nahost-Korrespondent des Nachrichtenmagazins "Spiegel", im Gespräch mit der DW. "Seit Jahren fanden dutzende Angriffe statt, ohne dass in den Medien darüber berichtet wurde. Ich habe Kontakte in praktisch alle syrischen Städte. Es gab sehr viele Angriffe, teilweise auch mehrere auf ein und denselben Ort. Über die meisten dieser Attacken wurde nicht berichtet."
Russische Fehlkalkulation
Assads russische Verbündete, glaubt Reuter, würden bei diesen Kämpfen nur halbherzig mitmachen. In Moskau, vermutet er, war man zunächst wohl davon ausgegangen, erheblichen Einfluss auf Assad nehmen und ihn zur Mäßigung drängen zu können.
Dieses Kalkül sei aber nicht aufgegangen. "Sie haben sich in eine Situation manövriert, die sie sich so nicht ausgemalt hatten. Sie haben wohl nicht erwartet, dass Assad jede Übergangslösung ablehnen würde, und ebenso jedes Zeichen der Versöhnung." Zwar habe es zwischen Assad und seinen Gegnern bereits zahlreiche lokale Waffenstillstandsabkommen gegeben, "aber keines war eine wirkliche Geste der Versöhnung".
Bedrängte Zivilisten
Besonders zu leiden hat unter den Kämpfen die Zivilbevölkerung. Bis zu 400.000 an den Auseinandersetzungen nicht beteiligte Menschen könnten sich in der Stadt noch aufhalten. Zwar schickt das Assad-Regime einige Hilfslieferungen in die Stadt. Doch ist zweifelhaft, ob sie ausreichen, denn bereits kurz nach Beginn der Offensive Anfang Juli wurden die Lebensmittel knapp. Nicht einmal ein Kilo Tomaten habe er finden können, berichtet ein syrischer Familienvater der Zeitung "Al araby al-jadeed". Seine Frau und er selbst könnten die Entbehrung eine zeitlang überstehen. Sorgen mache er sich allerdings um seinen sechs Jahre alten Sohn.
Problematisch ist auch die Einrichtung eines Fluchtkorridors für die in Aleppo eingeschlossenen Zivilisten. Während Frauen und Kinder ihn gefahrlos passieren dürften, könnte es für Männer schwierig werden: Sie stehen zunächst einmal im Verdacht, Mitglieder dschihadistischer Gruppen zu sein, die sich nun unter die Zivilisten mischten, um auf diese Weise weiteren Kämpfen zu entgehen. Darum müssen sie sich zunächst einer Identitätsprüfung unterziehen. Wer nicht eindeutig beweisen kann, dass er tatsächlich nicht auf Seiten der Dschihadisten gekämpft hat, kann von den Regierungstruppen als feindlicher Kämpfer betrachtet werden.
"Einen angeblich 'sicheren Fluchtweg' anzubieten, darf nicht im Umkehrschluss bedeuten, dass die verbleibenden Menschen zu militärisch legitimierten Zielen werden", warnen darum mehrere internationale Hilfsorganisationen in einem gemeinsamen Positionspapier. "Die Stadt darf nicht zu einem weiteren Ort des Massensterbens werden."
Blutzoll und weiterer Terrorismus
Unsicher ist zudem, wie es in den kommenden Tagen und Wochen weitergeht. Es brauche eine diplomatische Offensive, schreibt die arabische Zeitung "Sharq al-Awsat". "Die Kämpfe werden in der Region wie auch im Westen ernsthafte Konsequenzen haben. Der Blutzoll wird hoch sein und den konfessionellen Hass und Terrorismus nur weiter steigen lassen."
Derweil bereiten Russen und Amerikaner eine weitere Gesprächsrunde vor, zu der sich die Unterhändler aller mittel- und unmittelbar beteiligten Kriegsparteien in Genf treffen sollen. Die Konferenz soll in einigen Wochen stattfinden. Die bis dahin verstreichende Zeit nutzt vor allem dem Assad-Regime. Auch sonst wenden sich die Dinge mehr und mehr zu Gunsten des Regimes. Diesen Vorsprung wird es, auf seine Art, zu nutzen wissen.