Krieg mit Waffen "made in Europe"
29. November 2018Eigentlich hatte das Video, das Al-Kaida im Januar 2016 ins Internet stellte, die Stärke der Dschihadisten im Jemen dokumentieren sollen. Systematisch nutzt die Terrororganisation die Wirren des Bürgerkriegs, um sich in dem Land an der Südspitze der arabischen Halbinsel festzusetzen. Zu sehen war auf dem Video aber noch etwas anderes: die erstaunliche Bewaffnung der Dschihadisten. Deren Milizen kämpfen unter anderem mit Schnellfeuer- und Maschinengewehren der Modelle G3 und G36, MG3 und MG4, produziert in Saudi-Arabien unter einer Lizenz des deutschen Waffenherstellers Heckler & Koch.
Die Waffen hätten internationalen Waffengesetzen entsprechend nie in die Hände der Terroristen gelangen dürfen. Wie es trotzdem dazu kam, wie auch Waffen aus vielen anderen europäischen Länder im Jemen in unbefugte Hände gerieten, das zeigt die von der jordanischen Journalistenvereinigung "Arab Reporters for Investigative Journalism" (ARIJ) exklusiv für die Deutsche Welle erstellte, auf Arabisch ausgestrahlte Dokumentation.
Viele der im Jemen eingesetzten europäischen Waffen werden von Gruppen genutzt, für die sie nie vorgesehen waren. Laut internationaler Gesetzgebung sind die Empfänger dieser Waffen strikt definiert. Auf keinen Fall dürfen die Gewehre an dritte Gruppen weitergegeben werden.
Nachschub über den Schwarzmarkt
Wie gerieten die Waffen dann aber in die Hände von Al-Kaida? Die Waffen seien zunächst an Einheiten ausgegeben worden, die auf Seiten des jemenitischen Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi kämpften, sagt Brigadegeneral Mohamed al-Mahmoudi, Kommandant der regulären Einheiten der jemenitischen Armee in der Stadt Taiz. Das Problem: Diese Truppen erhalten oft nur einen geringen, zudem unregelmäßig ausgezahlten Sold. Also verkaufen einige Mitglieder dieser Truppen Waffen und Munition. Direkt oder auf Umwegen über Dritte landen diese Waffen dann in den Händen von Al-Kaida und anderer Terrororganisationen.
Anfragen von ARIJ, wie das Unternehmen zu dem irregulären Waffenhandel stehe, ließ Heckler & Koch unbeantwortet. Das deutsche Bundesministerium für Wirtschaft und Energie erklärte auf Anfrage, es habe keine belastbaren Hinweise, dass aus Deutschland stammende Waffen im Jemen eingesetzt würden. Es nehme entsprechende Hinweise aber sehr ernst.
Der Handel mit Waffen sei im Jemen eine verbreitete Praxis, sagt Ahmed Himmich, Koordinator eines im Auftrag der Sicherheitsrates der Vereinten Nationen arbeitenden Expertengremiums. Es gebe Gruppen, die nicht unter Kontrolle der jemenitischen Regierung stünden. "Diese Gruppen erhalten militärische Unterstützung, die auch Waffen umfasst, die schließlich auf den Schwarzmarkt gelangen oder an Einheiten geraten, die unter Sanktionen stehen", so Himmich in der Dokumentation.
Waffen aus ganz Europa
Einer der dschihadistischen Gruppen ist die Abu al-Abbas-Brigade, eine Partnerorganisation von Al-Kaida. Die Brigade ist auch im Besitz anderer Waffen, etwa des lasergesteuerten Gewehrs RPG-32, hergestellt in Jordanien im Zusammenarbeit mit einem russischen Unternehmen.
Im Internet kursieren zahllose Videos, produziert überwiegend von den Kriegsparteien selbst. Die Analyse der in den Ausschnitten zu sehenden Waffen fügt sich zu einer Art Leistungsschau europäischer Waffenhersteller: Zu sehen sind Waffen und militärische Ausrüstung des belgischen Unternehmens FN Herstal oder Handgranaten des eigens für das Schweizer Militärs entwickelten Typs HG 85. Während die belgische Regierung zu einem Interview nicht bereit war, erklärte die schweizerische, sie werde die Informationen von ARIJ prüfen. Auch Waffen aus spanischer Produktion werden im Jemen von dazu nicht autorisierten Gruppen eingesetzt. Hersteller und spanische Regierung reagierten auf Anfrage von ARIJ nicht.
Die Dokumentation zeigt: Viele der Waffen wurden zunächst aus Saudi-Arabien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) in Umlauf gebracht. Andere stammen hingegen aus dem Iran. "Dazu gehören Drohnen und Treibstoff für Flugkörper", so Ahmed Himmich, Mitarbeiter des im Auftrag des UN-Sicherheitsrates forschenden Expertenteams. "Diese wurden allesamt von vier oder fünf Ländern gekauft und dann in den Iran exportiert."
Europa: unterschiedliche Standards
Neben westeuropäischen Waffen finden sich im Jemen auch solche aus südosteuropäischen Ländern, so etwa aus serbischer und bulgarischer Produktion. Die hohe Anzahl dieser Waffen habe einen einfachen Grund, sagt Lawrence Marzouk, Redakteur des "Balkan Investigative Reporting Network" (Birn): "Wenn eine Waffe aus dem Vereinigten Königreich oder den Vereinigten Staaten in die Hände einer Terrororganisation wie ISIS fällt, bereitet diesen Ländern das erheblich Kopfschmerzen. Doch für Serbien, Bulgarien oder andere osteuropäische Länder ist das viel weniger problematisch."
Fazit: Der Krieg im Jemen hält auch darum an, weil der Nachschub von Waffen aus europäischer Produktion nicht stockt.