Der Klimawandel trifft uns alle
10. Dezember 2005"Das ist im Mittel der stärkste Klimawandel, der in den letzten Millionen Jahren auf der Erde aufgetreten ist." Klimaforscher Hartmut Graßl vom Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie ist nicht der einzige, der mit starken Worten die weltweiten Klimaveränderungen beschreibt. Auch die Europäischen Umweltagentur EUA ist davon überzeugt, dass Europa der umfassendste Klimawandel seit 5000 Jahren bevorsteht. Die Durchschnittstemperatur steige um ein Drittel schneller als im weltweiten Mittel, heißt es in einem Bericht der EUA. Die Jahre 2002 bis 2004 seien die bislang heißesten in Europa seit Beginn der Aufzeichnungen gewesen, erklärte die EUA.
Dem Bericht zufolge sind im Hitzesommer 2003 zehn Prozent der alpinen Gletscher abgetaut. Wenn die Entwicklung so weiter gehe, seien 2050 drei Viertel der Gletscher in der Schweiz verschwunden. Ohne ein über Jahrzehnte effektives Handeln werde im Norden das Eis schmelzen und von Süden her breiteten sich Wüsten aus, beschreibt EUA-Direktorin Jacqueline McGlade eines der denkbaren Szenarien. Die Bevölkerung des Kontinents könnte sich dann in der Mitte Europas konzentrieren.
Wüsten rund ums Mittelmeer?
Zu ähnlichen Forschungsergebnissen ist auch das Max-Planck-Institut für Meteorologie gekommen. In einer Studie für den Klimarat der Vereinten Nationen (IPCC) beschreibt es die Temperaturentwicklung in Mitteleuropa: Die Sommer werden den Berechnungen zufolge trockener und wärmer, die Winter ebenfalls wärmer, aber feuchter, so Projektleiter Erich Roeckner. Dramatische Auswirkungen erwarten die Forscher vor allem für die Mittelmeerregion. Zum Beispiel müsse Spanien sich auf früher einsetzende und länger dauernde sommerliche Dürreperioden einstellen. Zudem werden die winterlichen Niederschläge geringer, weil es zu weniger Stürmen über dem Mittelmeer kommen werde, sagt Erich Roeckner. Auch für Südafrika und Australien prognostizieren die Rechenmodelle eine Ausbreitung der Wüsten.
Was frisst der Eisbär?
Heiße Trockenperioden sollen auch in Deutschland bald zum durchschnittlichen Sommer gehören. In den Wintern werden kalte Hochdrucklagen seltener, atlantische Westwindlagen werden dominieren. Die Gefahr von starkem Regen und Überschwemmungen nimmt deutlich zu. Der Meeresspiegel könne im Durchschnitt bis zu 30 Zentimeter klettern, in der Nordsee sogar etwas mehr. Die globale Temperatur werde bis zum Ende des Jahrhunderts um bis zu vier Grad Celsius steigen. Dennoch: "Damit ist kein Kollaps der so genannten thermohalinen Zirkulation verbunden, die den Golfstrom antreibt", sagt der Geschäftsführende Institutsdirektor des MPI, Jochem Marotzke. "Allerdings verändern sich die Lebensbedingungen für Pflanzen und Tiere drastisch - so etwa für Eisbären, die vom Eis aus auf die Jagd gehen." Wenn der derzeitige Schwund des Meereises anhält, könnte die Arktis bis zum Ende des Jahrhunderts im Sommer komplett eisfrei sein.
Gesundheitliche Folgen
Die Klimaerwärmung hat nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO außerdem massive Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen in Europa. Allein 35.000 Menschen seien wegen der Hitzewelle im Sommer 2003 gestorben, berichtete die WHO auf der UN-Klimakonferenz in Montréal. Von den 15 größeren Fluten des Jahres 2002 seien in Europa rund eine Million Menschen betroffen gewesen.
Im Zuge der höheren Temperaturen gebe es auch mehr Krankheitserreger in Lebensmitteln. So klettere die Zahl der an Salmonellen erkrankten Menschen mit jedem Grad Temperaturerhöhung über eine Woche um fünf bis zehn Prozent. Die Zeit des Pollenflugs habe sich in den vergangenen 30 Jahren um 10 bis 11 Tage verlängert. Auch die von Zecken übertragenen Erreger der Lyme-Borreliose und der Hirnentzündung FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis) breiten sich weiter aus. Die Keime wurden laut WHO bereits in Schweden und Tschechien entdeckt. Insofern habe der Klimawandel Auswirkungen auf die Menschen in allen europäischen Ländern, unabhängig von der Wirtschaftsleistung des jeweiligen Staates, schlussfolgert die WHO. (arn)