Der Kampf um die Rathäuser in Polen
19. Oktober 2018Fünf Tage vor der Wahl bildeten sich vor den Rathäusern in einigen Stadtteilen Warschaus lange Schlangen. Der Grund: Bis zu diesem Tag konnten sich vorübergehend hier lebende Nicht-Warschauer noch ins Wahlregister eintragen. Unter den Wartenden ist ein älteres Paar, das bald aus Posen nach Warschau ziehen wird. Das Paar registriert sich, damit es in Warschau wählen kann. Und sie haben sich auch schon entschieden: Der amtierende Vize-Justizminister Patryk Jaki soll ihre Stimme bekommen, um Warschauer Bürgermeister zu werden. "Er ist der einzige, der sich um Senioren kümmern wird, das liegt ihm am Herzen", sagt der alte Mann in einem TV-Interview. Eine Jurastudentin aus Bialystok glaubt an den liberalen Gegenkandidaten Rafal Trzaskowski. "Diese Wahl ist die einzige Chance, dass die Liberalen überleben - hier in den Großstädten", sagt sie.
Tausende Bürgermeister, Stadt- und Gemeinderäte sowie Abgeordnete der regionalen Parlamente stehen in Polen zur Wahl. Die Mobilisierung der Wähler ist größer als vor vier Jahren. Damals lag die Wahlbeteiligung bei 47 Prozent. Diesmal wollen laut Umfragen drei Viertel der Wahlberechtigten zur Urne gehen.
Das emotionale Endspiel
Im Kampf um das Warschauer Rathaus verspricht der aus Oppeln stammende nationalkonservative Kandidat Patryk Jaki neue U-Bahn-Linien, den Bau eines Hightech-Centers und neue Seniorenzentren. Es wird auch mit den Emotionen der Wähler gespielt. Piotr Guzial, den Patryk Jaki schon in der Rolle "seines" künftigen Vize-Bürgermeisters sieht, hat sich in die Rolle des "bösen Polizisten" eingefühlt und auf seinem Twitterkonto dem liberalen Gegenkandidaten gedroht: "Soll Trzaskowski gewinnen, dann bleibt Warschau für Jahre von den Geldmitteln aus der Staatskasse für U-Bahn, Brücken und Umgehungsstrassen abgeschnitten, weil die PiS-Regierung der PO (Bürgerplattform) nicht vertrauen wird."
Diese direkt ausgesprochene Warnung löste heftige Proteste bei den Liberalen aus, die darin eine mögliche Instrumentalisierung staatlicher Geldmittel für Parteizwecke sah. Und Kandidat Jaki selbst goss noch Öl ins Feuer, als er die wenig elegante Aussage erklärend kommentierte, die Regierung werde "die Brücken von Trzaskowski" nicht finanzieren, weil er keine Brücken, sondern nur Fußgänger- und Fahrradübergänge brauche. Die Botschaft kam durch: Seid ihr nicht mit uns, dann werden euch Gelder für Investitionen gekürzt. Der 33-jährige erzkonservative Jaki hat auch schon als Vize-Justizminister für Kontroversen gesorgt, als er Anfang 2018 ein Pädophilen-Register im Netz veröffentlichte. Kritiker meinen, das hätte das zu Lynchjustiz führen können.
Die zersplitterte Opposition
Sein Herausforderer Trzaskowski ist ehemaliger Europa-Abgeordnete und Ex-Vizeminister im Auswärtigen Amt. Ihm, Spross einer Warschauer Intelligenzia-Familie, wird vorgeworfen, er trete elitär auf. Deshalb versucht Trzaskowski, sein Image zu ändern. Elegante Anzüge und gepflegte Sprache tauscht er gegen karierte Hemden aus und suggeriert dadurch Volksnähe. Jeden Tag trifft er sich auf den Straßen von Warschau mit Einwohnern, die ihm ihre Sorgen anvertrauen. Wenn sie für ihn stimmten, sagt er, bräuchten sie für Krippen und öffentliche Verkehrsmittel nicht mehr zu bezahlen.
Der 46-jährige gehört zur links-liberalen Bürgerkoalition, die als zersplittert gilt. Tatsächlich ist das Wahlbündnis nichts anderes als eine Vernunftehe verschiedener Gruppierungen, die sich bis vor kurzem gegenseitig angefeindet hatten. Über die üblichen Wahlversprechen wie die Verbesserung der lokalen Infrastruktur oder billige Kinderspielplätze können sie sich zwar problemlos einigen, doch vielen Polen scheint es unwahrscheinlich, dass sie auch nach den Wahlen zusammenhalten werden.
Spannende Duelle in den Großstädten
Die nationalkonservativen Kandidaten und Wahlbündnisse mit der Regierungspartei PiS an der Spitze haben zwar landesweit die größte Unterstützung bei den Wählern, doch in den Großstädten wie Warschau, Danzig, Krakau oder Breslau führen die Kandidaten der liberalen Opposition.
Wo es in der ersten Runde keine klare Mehrheit im Rennen um die Bürgermeisterämter gibt, soll es am 4. November eine zweite Runde geben. Dann könnte es ein stark personenbezogenes, für die Öffentlichkeit noch spannenderes Wahlspektakel geben.
In Danzig wird sich das endgültige Duell wohl zwischen zwei liberalen Kandidaten abspielen, dem populären amtierenden Bürgermeister Pawel Adamowicz und Jaroslaw Walesa, dem Sohn des Ex-Präsidenten Lech Walesa. In Krakau sehen die Chancen des amtierenden Bürgermeisters Jacek Majchrowski besser aus als die der PiS-Kandidatin Malgorzata Wassermann.
Das neue Wahlgesetz
Zum ersten Mal gilt bei diesen Kommunalwahlen das 2017 von der Regierungsmehrheit beschlossene Wahlgesetz. Statt des traditionellen Kreuzes sind jetzt auf dem Stimmzettel auch andere Formen denkbar, solange sich nur "zwei Linien kreuzen". In der Staatlichen Wahlkommission scheiden sich die Geister, wie das zu interpretieren sei. Es kann schwierig werden, den Willen des Wählers zu ermitteln, wenn die erste Wahl zugunsten einer anderen durchkreuzt wurde. Kritiker sehen darin eine Möglichkeit der Wahlfälschung. Neu ist auch, dass die Amtszeit der kommunalen Amtsträger auf zwei Wahlperioden begrenzt sein wird.