Der Kampf um die Einigkeit der Nigerianer
27. September 2017Muhammad Ibrahim Gashash, Vorsitzender der Organisation "Christlich-Muslimische Alternative zum Konflikt" geht langsam über einen Hof, an den mehrere Häuser grenzen. Das große Gelände ist gut versteckt und bietet so Schutz. Hier kommt niemand her, der sich nicht auskennt. Gashash zeigt auf ein Gebäude. "Das Haus ist vorbereitet", sagt er. "Wenn sich jemand aus der Igbo-Gemeinschaft unsicher fühlt, soll er kommen. Bei uns wird er Schutz erhalten." Die Zuflucht ist ein praktisches Beispiel für friedliches Zusammenleben im Norden Nigerias. Bisher hat niemand die Hilfe in Anspruch genommen.
Gashash, der in zahlreichen Konflikten als Mediator vermittelt hat, hat in den vergangenen Monaten allerdings häufig gespürt, dass die Igbos im Norden Nigerias Angst haben. Einer der Gründe ist die Agitation der Bewegung "Indigene Menschen von Biafra" (IPOB), die unter ihrem Anführer Nnamdi Kanu die Spaltung Nigerias fordert. IPOB wird von Igbos dominiert. Bereits von 1967 bis 1970 kämpften Igbos für die Unabhängigkeit ihres neu gegründeten Staates Biafra. Der grausame Bürgerkrieg brachte bis zu 2,5 Millionen Menschen den Tod. Heute hetzt IPOB gegen die Regierung sowie den muslimisch geprägten Norden. Ende vergangener Woche wurde die Organisation zur Terrororganisation erklärt. Vor zwei Wochen tauchten Videos auf, die zeigen sollen, wie Soldaten Biafra-Anhänger gefoltert und ermordet haben. Die Echtheit ist nicht geklärt.
Ein Konflikt mit langer Geschichte
Auch eine Forderung der Arewa-Jugendbewegung hat Ängste geschürt unter den mehreren Millionen Igbos, die im Norden leben und häufig Handel betreiben. Im Juni verkündete Arewa, dass alle Igbos den Norden bis zum nigerianischen Unabhängigkeitstag am 1. Oktober verlassen sollten. Von der sogenannten "quit notice" ist zwar mittlerweile kaum noch die Rede, nachdem sie von der Regierung und zahlreichen nichtstaatlichen Organisationen verurteilt wurde. Gerade in Kaduna, wo es in den vergangenen 30 Jahren immer wieder zu schweren ethnischen, religiösen und politischen Ausschreitungen gekommen ist, kann die Stimmung aber schnell kippen.
Das weiß auch Maryam Abubakar, die die "Frauenstiftung Nigerias" (Womanhood Foundation of Nigeria) leitet. Ein Grund, weshalb die Einheit des Landes so stark diskutiert würde, wie schon lange nicht mehr, seien Hassreden, die über soziale Netzwerke im Internet verbreitet würden. Um etwas dagegen zu unternehmen, geht sie in Schulen und vermittelt Kindern und Jugendlichen ihre Botschaft: "Wir sind eins. Egal, ob Christ, Muslim oder Heide, egal, ob Igbo, Haussa oder Yoruba: wir sind alle gleich, weil wir alle aus Nigeria stammen." In den kommenden Wochen will Maryam Abubakar mit so vielen Menschen wie möglich sprechen. "Gemeinsam sind wir stark, alleine aber geschwächt", lautet ihre Parole.
Bereit für Einigkeit?
An ein Auseinanderbrechen mag auch Journalist Dominic Eze Uzu gar nicht denken. Er ist Igbo, stammt aus Enugu, lebt aber seit 44 Jahren in Kaduna. Bei Gesprächen wechselt er ohne zu überlegen zwischen den Sprachen Englisch, Igbo, Haussa und auch Yoruba. Eine erzwungene Rückkehr wäre für ihn die Katastrophe. "Alle meine vier Kinder sind hier. In Enugu würden sie niemanden kennen." Dennoch hat seine Familie nicht die gleichen Rechte wie die angestammte Bevölkerung. Denn wer in Behörden, Universitäten oder anderen staatlichen Einrichtungen etwas werden will, muss eine sogenannte "Indigenitätserklärung" vorlegen, da bestimmte Posten nur der einheimischen Bevölkerung des jeweiligen Bundesstaats vorbehalten sind.
Dominic Eze Uzu ärgert sich sehr über die Agitation der vergangenen Monate: "Nigeria ist ein so schönes Land. Aber wir Menschen müssen als Nigerianer gesehen werden", sagt er. Doch er vermisst das Zusammengehörigkeitsgefühl. Anstatt über Angst und Unsicherheit zu sprechen, sollten die Gemeinsamkeiten stärker in den Mittelpunkt gestellt werden. "Sind wir bereit, ein Nigeria zu sein?", fragt Dominic Eze Uzu deshalb. "Wenn das so ist, dann müssen auch alle gleich behandelt werden."
Friedensbeobachter sorgen für Stabilität
Um das friedliche Zusammenleben der Bevölkerungsgruppen zu fördern, gründeten Pastor James Wuye und Imam Muhammad Ashafa 1995 ein religionsübergreifendes Mediationszentrum. Inzwischen ist die Organisation in Kaduna für ihre Friedensarbeit international ausgezeichnet worden. Die Mitarbeiter versuchen, dafür zu sorgen, dass Konflikte im Norden Nigerias beigelegt werden. "Auch in Kano haben wir Bürger zu Friedensbeobachtern ausgebildet", erklärt Pastor Wuye. Einige würden täglich Informationen nach Kaduna schicken. "Benötigen sie Hilfe und Rat, kümmern wir uns."
Über einen Erfolg freut sich der Pastor ganz besonders. Mitte September machte ein Straßenumzug Schlagzeilen. Junge Haussa hatten in Kano traditionelle Igbo-Kleidung angezogen, um ihre Solidarität zu bekunden und zu zeigen: Wir sind eure Freunde. "Einen Teil der Leute haben wir ausgebildet", freut sich James Wuye. Verbreitet wurden die Bilder anfangs übrigens über - sonst eher für die Verbreitung von Hassreden berüchtigte - soziale Netzwerke.