Südafrikas Kampf gegen sexualisierte Gewalt
10. August 2017Es war ein Moment von starker Symbolkraft: Im Mai 2006 wurde Jacob Zuma, damals Vizepräsident von Südafrika, vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen. Tausende seiner Anhänger, Männer und Frauen, standen vor dem Oberlandesgericht in Johannesburg, um den Mann zu unterstützen, der später ihr Präsident werden sollte. Aber im Meer von gelb, grün und schwarz – den Farben der Regierungspartei African National Congress – standen 20 Frauen in violetten T-Shirts. Im Gegensatz zur Masse zeigten sie ihre Solidarität mit Fezekile Ntsukela Kuzwayo, bekannt als Khwezi, die Jacob Zuma vorwarf, sie vergewaltigt zu haben.
Nicht nur die Klägerin, auch ihre Unterstützer vor dem Gerichtsgebäude wurden während des Prozesses täglich von Zumas Anhängern beleidigt und bedroht. Nach dem Freispruch ertrugen sie still die Provokationen der Menge, zogen ihre violetten T-Shirts aus machten sich auf den Heimweg. "Es war ein trauriger Tag für uns Frauen da draußen," sagt Mpumi Mathabela, eine der Koordinatorinnen der Kampagne One in Nine, die gegründet wurde, um Kuzwayo und andere Vergewaltigungsopfer zu unterstützen. "Es war ein trauriger Tag für die Überlebenden. Es war ein trauriger Tag für die Gerechtigkeit, weil wir gedacht hatten, dass das Südafrikanische Gericht diesen Tag nutzen würde, um Frauenrechte zu stärken. Aber so kam es nicht."
Klägerin im Exil
Nach dem Freispruch verschärften sich die Drohungen gegen Kuzwayo weiter, und das Haus ihrer Mutter wurde abgebrannt. "Nach dem Urteil war ihr Leben in Gefahr, und sie wurde ständig bedroht" sagt Mathabela. "Wir mussten uns einen Weg überlegen, um sie aus dem Land zu bekommen."
Kuzwayo und ihre Mutter flohen aus Südafrika und erhielten in den Niederlanden Asyl. Doch das von ihren Unterstützern als ungerecht empfundene Rechtssystem Südafrikas brachte der Kampagne One in Nine weiter Zulauf. Der Name der Kampagne beruht auf einer Statistik, nach der nur jede neunte Frau, die in Südafrika vergewaltigt wird, Anzeige erstattet.
Noch immer ist Südafrika das Land mit - auf die Bevölkerungszahl gerechnet - den meisten Vergewaltigungen weltweit. Die Polizei hat 2015 und 2016 mehr als 50.000 Sexualdelikte aufgenommen. Rund 80 Prozent davon werden werden von der Organisation Afrika Check als Vergewaltigung klassifiziert. Das macht 58 Vergewaltigungen pro Tag. Es sei jedoch anzunehmen, dass die tatsächliche Zahl viel höher liege, da Vergewaltigung und andere Sexualdelikte seltener angezeigt würden als andere Verbrechen, so die Vertreter der Kampagne One in Nine.
Vom Protest zur Bewegung
One in Nine hat inzwischen 400 Mitglieder, die sich verpflichtet fühlen, gegen sexuelle Gewalt zu kämpfen. Das Büro mit neun Mitarbeitern in Johannesburg wird hauptsächlich durch private und öffentliche Spenden aus Europa finanziert. Seit Jahren fordert die Organisation eine Änderung des Rechtssystems und organisiert Demonstrationen, um Vergewaltigungsopfer, die vor Gericht aussagen, zu unterstützen. Ihre Mitglieder stören anti-feministische Protestmärsche und wollen diejenigen bloßstellen, die mangelndes Verständnis für die Belange von Frauen und sexualisierte Gewalt in Südafrika zeigen.
"Wenn eine Frau eine Vergewaltigung anzeigt, sorgen wir mit unserer Unterstützung dafür, dass ein Bewusstsein für den Fall aufgebaut wird," sagt Kwezilomso Mbandazayo, ein Mitglied der Kampagne und ehemalige Programmleiterin der Gruppe. "Wir beziehen Aspekte politischer Bildung mit ein, um zu verstehen warum Gewalt passiert und in was für einer Gesellschaft wir leben. Wir halten Workshops ab, führen Gespräche und zeigen Filme."
Mbandazayo und ihre Mitstreiter versuchen, bestimmte Fälle hervorzuheben, die bestehende Probleme veranschaulichen. Im August veranstaltete eine Gruppe von Frauen, die One in Nine nahe stehen, einen stillen Protest auf einer Wahlkampfveranstaltung mit Präsident Zuma in Johannesburg. Während der Rede des Präsidenten hielten die Aktivisten Plakate hoch, auf denen stand: "Erinnert euch an Khwezi" und "Zehn Jahre später".
"Sie taten es, um das Land an Khwezi zu erinnern", sagt Amanda Hodgeson, eine Programmkoordinatorin der Kampagne. Die Demonstranten seien nach der Rede, die landesweit im Fernsehen übertragen wurde, schnell und leise abgeführt worden. Der Präsident habe sich geweigert, die Aktion zu kommentieren. Aber es seien viele Journalisten vor Ort gewesen, die noch Wochen später über die Aktion berichtet hätten.
Impuls für eine öffentliche Debatte
Die Aktivistin Mbandazayo sieht die Arbeit der Organisation als wichtige Dienstleistung für das Land. "Wir spielen eine wichtige Rolle, weil wir immer diese Geschichte erzählen von einem Südafrika mit großartigen Gesetzen, von einem Land, das die Apartheid besiegt hat und jetzt nur noch mit ein paar kleineren Problemchen zu kämpfen hat", sagt Mbandazayo. "In Wirklichkeit haben die Armen, die Arbeiterklasse und vor allem schwarze Frauen nicht viel von der Demokratie."
Trotz des stockenden Fortschritts haben Kampagnen wie One in Nine oder South Africa's People Opposing Women Abuse den Dialog über sexualisierte Gewalt und Frauenrechte in Südafrika verändert. "Ohne solche Gruppen würde es keine öffentliche Debatte um diese Themen geben", sagt Shireen Hassim, Politikwissenschaftlerin an der Universität von Witwatersrand in Johannesburg. Sie glaubt, Journalisten und Anwälte würden sich ohne solche Organisationen nicht so für das Thema einsetzen, wie sie es jetzt tun.
Dieses Projekt wurde vom European Journalism Centre finanziert im Rahmen desInnovation in Developement Reporting Grant Programme.