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IS will antimuslimisches Europa

Diana Hodali25. März 2016

Die Terrormiliz verübt Anschläge im Namen des Islam und will damit die europäischen Gesellschaften spalten - Muslime gegen Nicht-Muslime. Ihre Rechnung scheint aufzugehen: Die Zahl der IS-Rekruten aus Europa ist groß.

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Flüchtlingsgegner auf einer Demonstration, zu der die AfD aufgerufen hatte (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/M. Schutt

Es kam, wie alle vermutet hatten. Nur wenige Stunden nach den blutigen Anschlägen in Brüssel bekannte sich die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) zu den Taten. In einem Statement bedankte sich die Organisation beim "Sicherheitsteam des Kalifats", das losgezogen sei, um die "Kreuzfahrer in Belgien anzugreifen, die nicht aufhörten, Krieg gegen den Islam und seine Anhänger zu führen".

Die Terrorgruppe warnte Belgien und andere "Kreuzfahrer-Nationen", die sich im Kampf gegen den IS vereint haben, vor "weiteren schwarzen Tagen". Was jetzt folge, werde noch zerstörerischer sein, denn Gott habe ihre "Brüder dazu befähigt, Angst und Terror in die Herzen der Kreuzfahrer zu lassen".

Einen Keil dazwischen treiben

Es sind Statements wie diese, mit denen der IS die Welt wissen lassen will, dass seine Anhänger überall sind, dass sie die Speerspitze einer allgemeinen Bewegung sind, dass es sich um einen Kampf der "Gläubigen" gegen die "Ungläubigen", die "Kuffar", handelt. Ein Kampf, den sie in Europa und auch in anderen Teilen der Welt kämpfen. Eine schwarz-weiß gefärbte Welt, eine Welt bestehend aus "wir" gegen "sie", Muslime gegen Nicht-Muslime.

Genau das sei das Ziel, sagt Günter Meyer vom Zentrum für Forschung zur Arabischen Welt in Mainz: "Der IS setzt auf eine Polarisierung und Radikalisierung der Beziehungen zwischen der muslimischen und nichtmuslimischen Bevölkerung, um dadurch mehr Anhänger zu rekrutieren, die europäischen Gesellschaften zu destabilisieren und so dem Ziel der Ausbreitung des Kalifats näherzukommen."

Günter Meyer (Foto: Peter Pulkowski)
Günter Meyer vom Zentrum für Forschung zur Arabischen WeltBild: Peter Pulkowski

Sorge vor Ausgrenzung und Rassismus

Besonders Migranten und Flüchtlinge machen sich nach Anschlägen wie in Brüssel oder in Paris Sorgen, sie könnten bei Teilen der europäischen Gesellschaften weniger willkommen sein. Denn der IS macht sich im Zuge seiner Attentate auch die Flüchtlingsdebatte in Europa zunutze - so geschehen zum Beispiel nach den Anschlägen in Paris am 13. November 2015. Damals sollte es so aussehen, als ob ein Flüchtling zu den Terroristen zählte. Man wollte all die syrischen Flüchtlinge, die in den vergangenen Monaten nach Europa gekommen waren, unter Generalverdacht stellen. Die Franzosen und auch die restliche Welt sollten Angst vor Muslimen bekommen, Angst vor allem, was sie mit dem Islam verknüpfen. Dabei gebe es weder nach den Anschlägen von Paris noch nach den Anschlägen in Brüssel einen Beweis dafür, dass es eine direkte Verbindung zwischen Flüchtlingen und den Attentätern gebe, sagte die migrationspolitische Sprecherin der Fraktion der Grünen im Europaparlament, Ska Keller, im Interview mit der Deutschen Welle.

Eine Politik der Angst

Viele Parteien in Europa machen sich für eine strenge Einwanderungspolitik stark. Und aufgrund dieser mörderischen Terrorangriffe finden ihre Stimmen immer mehr Gehör. Die von Populisten und Rechtsextremisten geschürte antimuslimische Einstellung wachsender Teile der europäischen Bevölkerung - gerade im Bezug auf die Flüchtlingsdebatte - spielt den Terroristen des IS genau in die Hände. Denn sie wollen, dass Muslime in Europa keine Heimat finden, sondern nur beim IS. Und es scheint ihnen zu gelingen, denn islamkritische Parteien können punkten. Die rechte AfD (Alternative für Deutschland) zum Beispiel erreichte zuletzt bei drei Landtagswahlen zweistellige Ergebnisse. Der rechtsnationale Front National (FN) holte in der ersten Runde der Kommunalwahlen in Frankreich im vergangenen Jahr sogar 28 Prozent. Aber auch in anderen europäischen Ländern finden die national-konservativen und rechten Parteien, die eine strengere Migrationspolitik fordern, immer mehr Zulauf.

Post der AfD-Politikerin Beatrix von Storch auf Facebook (Foto: Screenshot)
Mit ihrer Andeutung "nix mit nix" stellte die AfD-Politikerin offenbar eine Verbindung zwischen den Anschlägen von Brüssel und der Flüchtlingspolitik der EU herBild: Screenshot Facebook

Wachsende dschihadistische Milieus

Das könnte fatale Folgen für den Westen haben, sagt Günter Meyer. Denn wenn selbst integrationswillige und bereits integrierte Muslime immer häufiger auf Ablehnung stießen, diskriminiert und angegriffen würden, sei die Gefahr groß, dass viele junge Muslime auf den zunehmenden Hass, der ihnen vor allem von Rechtsradikalen entgegenschlägt, ebenfalls mit Hass antworteten. Frankreich und Belgien haben dies bereits erleben müssen. Die Anzahl der belgischen Dschihadisten, die nach Syrien ausgereist sind, sich dort haben ausbilden lassen und dann zurückgekehrt sind, ist sehr groß - in absoluten Zahlen und besonders im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung. "Aber auch woanders gibt es wachsende dschihadistische Milieus. Das wird in den kommenden Jahren viele Probleme schaffen, nicht nur in Belgien", sagt der Islamwissenschaftler und Terrorexperte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Da müsse etwas geschehen.

Denn der sich rasch ausbreitende Salafismus bietet frustrierten, ausgegrenzten und zurückgewiesenen Muslimen eine neue, religiös-ideologische Inspiration. "So bekommen die Jugendlichen eine Zukunftsperspektive, in der sie vom 'Underdog' zum 'Topdog' aufsteigen können", ergänzt Günter Meyer. Viele dieser Jugendlichen haben wenig theologisches Wissen, daher "sind sie von anderen Personen abhängig und werden leicht Opfer von Salafisten, die ihnen den einzig wahren Islam predigen".

Politische Bildung nötig

Wer sich die Biografien der Attentäter von Paris und auch von Brüssel anschaut, der kann sehen, dass ihr Radikalisierungsprozess im Gefängnis begonnen hat. "Daher ist auch eine Intensivierung der bisher weitgehend vernachlässigten islamischen Gefängnisseelsorge erforderlich. Nur so kann verhindert werden, dass sich die Gefängnisse zu Brutstätten des Dschihadismus entwickeln", sagt Günter Meyer.

Die Arbeit gegen den hausgemachten Terrorismus müsse in den Schulen mit einem islamischen Religionsunterricht beginnen. "Er muss den Jugendlichen vermitteln, dass sie den Verheißungen der Salafisten mit der nötigen Skepsis begegnen - insbesondere hinsichtlich Gewaltanwendung und Propagierung des Westens als Feindbild." Aber auch Teile der nichtmuslimischen Bevölkerung sind gefordert: "Es bedarf einer verstärkten politischen Bildung, sowohl im Kampf gegen Islamophobie als neue Form des Rassismus als auch zur Verhinderung von islamfeindlichen populistischen Parteien", so der Experte.

Denn je rigider, rechtslastiger, fremdenfeindlicher Europas Regierungen werden, desto stärker stehen alle Muslime in Europa mit dem Rücken zur Wand. Wenn man nur einen minimalen prozentualen Anteil dazu bekommt, sich zu radikalisieren, dann hätte man immer noch Tausende vielleicht zu Anschlägen bereite Muslime in Europa - das genau ist das Ziel des IS. Und das gilt es zu verhindern.