Das Weltgericht
31. Dezember 2008Für die Verfolgung und Bestrafung der schlimmsten Menschenrechtsverletzung braucht es internationale Gerichte. Das haben bereits die Nürnberger Prozesse gegen die Kriegsverbrecher des Nazi-Regimes nach dem Zweiten Weltkrieg gezeigt. Dennoch musste noch fast ein halbes Jahrhundert vergehen, bis der UN-Sicherheitsrat angesichts des Krieges und der Gräueltaten auf dem Balkan 1993 handelte: Für das ehemalige Jugoslawien richtete er den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) mit Sitz in Den Haag ein. Ein Jahr später folgte ein ähnliches Strafgericht für Ruanda (ICTR).
Ihre Gründungen waren eher Verlegenheitssache, sagt Wolfgang Schomburg, einziger deutscher Richter an beiden Strafgerichtshöfen. Denn eigentlich habe es am politischen Willen gefehlt: "Bis man sowohl auf europäischer wie auch auf UN-Ebene versäumt hatte, rechtzeitig einzugreifen. Und man schlechten Gewissens nichts anders konnte als diese Ad-hoc-Tribunale einzurichten."
Im Fokus: Die Hauptverantwortlichen
Ihre Aufgabe war die Verfolgung schwerer Verbrechen, wie etwa massive Verletzungen der Genfer Konventionen, Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ihre Arbeit bezeichnet Schomburg als sehr wichtig und erfolgreich: "Wir haben es in der Tat geschafft bei beiden Tribunalen die Hauptverantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes Gerechtigkeit, soweit Gerechtigkeit überhaupt möglich ist, geschehen."
Die Zuständigkeit der beiden Ad-hoc-Gerichte für Ex-Jugoslawien und Ruanda ist, genauso wie die eines später eingerichteten Gerichts für Sierra Leone, aber klar begrenzt: Strafrechtlich verfolgen können sie nur schwere Menschenrechtsverletzungen auf dem Gebiet, für das sie zuständig sind. Außerdem auch nur solche, die in einem bestimmten Zeitraum verübt worden sind.
"Recht funktioniert auch auf internationaler Ebene"
Weiterer Schwachpunkt: Die Tribunale verfügen selbst über keinerlei Zwangsmittel und können deshalb auch keine Verhaftungen ausführen. Dennoch war ihre Gründung sowie ihre Tätigkeit ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, meint Richter Schomburg. "Diese Ad-hoc-Tribunale sind sicherlich ein wesentlicher Beitrag, um zu zeigen: Es funktioniert auch auf internationaler Ebene wenn internationale Richter zusammenkommen. Daher wurde so schnell das Rom-Statut als Gründungsdokument für den permanenten Internationalen Strafgerichtshof eingerichtet, und dann von den notwendigen 65 Staaten ratifiziert."
Inzwischen haben das Rom-Statut 108 Länder ratifiziert, darunter die meisten europäischen, südamerikanischen und zahlreiche afrikanische Staaten. Allerdings haben einige große Länder wie etwa die USA, Russland, Indien, Pakistan, der Iran oder China den Vertrag zwar unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert.
Endlich wahr: Jeder ist vor Gericht gleich
Trotzdem bezeichnet Richter Schomburg die Gründung des Internationalen Strafgerichthofs der UN (International Criminal Court - ICC) als großen Erfolg: Zum ersten Mal sei wahr gemacht worden, was in Artikel 14 des Paktes für bürgerliche und politische Rechte aus dem Jahr 1966 festgehalten wird: dass jeder vor Gericht gleich ist. "Das heißt, dass man einen effektiven Rechtsschutz als Bürger hat, dass schwerste Kriegsverbrechen gesühnt werden, und dass diejenigen, die bisher geglaubt haben unantastbar zu sein, jetzt zum ersten Mal zur Rechenschaft gezogen werden. Der Abschreckungseffekt generell scheint mir ein sehr wichtiger zu sein."
Damit wird ein langer Streit unter Völkerrechtlern entschieden: Nicht nur der Staat ist strafrechtlich verantwortlich, sondern auch Einzelpersonen, die für ihn handeln.
Freiwillige Vertragsverpflichtung schränkt Zuständigkeit des ICC ein
Auch der Internationale Strafgerichtshof beschäftigt sich mit Tatbeständen wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Im Unterschied zu den Ad-hoc-Gerichten handelt es sich hier aber um einen ständigen Gerichtshof mit Sitz in Den Haag. Er ist für alle Staaten zuständig, die das Statut ratifiziert haben. Das ist keine ideale Lösung, meint Schomburg. Besser wäre es, wenn die Grundlage keine freiwillige Vertragsverpflichtung einzelner Staaten wäre, sondern eine allgemein verpflichtende Entscheidung der UN.
Noch wichtiger ist aber, ob der Gerichtshof seine Wirksamkeit beweisen kann. Neben Thomas Lubanga, ugandischer Milizenanführer, der sich wegen der Rekrutierung von Kindersoldaten vor dem ICC verantworten muss, ist der amtierende Staatschef des Sudan, Omar al-Baschir, einer der ersten Angeklagten des Gerichtshofs. Ihm werden Kriegsverbrechen und Völkermord in der sudanesischen Provinz Darfur vorgeworfen. Für Richter Schomburg ist dieses Verfahren der Härtetest: "Gelingt es, die Situation in Darfur in den Griff zu bekommen oder geschieht das gleiche wie in Ruanda, wo man erst zugesehen hat, wie hunderttausende bis eine Million Tutsi getötet wurden?"
Der ICC braucht eine eigene Eingreiftruppe
Um diesen menschenrechtlichen Schutz zu gewährleisten, sind alle bisherigen internationalen Strafgerichtshöfe auf die Unterstützung und Zusammenarbeit der Staaten angewiesen. Darunter auch die, deren Funktionäre jetzt angeklagt sind. Um zukünftig unabhängig handeln zu können, wäre eine Art internationale Eingreiftruppe erforderlich, die die Angeklagten auch verhaften könnte.
Schomburg ist es egal, ob dieses eigene Hilfsorgan Polizei oder Militär genannt werde. Er fordert zudem, dass die UN eine permanente Schule für Richter, Staatsanwälte und Verteidiger einrichtet. "Damit in Zukunft, wenn eine solche Situation wieder auftritt, sofort juristisch eingegriffen werden kann mit entsprechender Unterstützung des eigenen Hilfsorgans", sagt der Strafrechtsexperte.