Der Himmel im Netz
16. Juli 2003Längst vorbei die Zeiten, in denen jeder Astronom für sich in seiner Sternwarte saß, allein mit seinem Fernrohr und den Weiten des Alls. Professionelle Astronomie wird heute von großen internationalen Forscherteams betrieben, die gewaltige Teleskope in Chile, am Südpol oder im Weltall stationiert haben. Diese Projekte produzieren Unmengen von Daten über Galaxien, Schwarze Löcher oder ferne Planeten. Nicht immer werden diese Daten optimal genutzt. Sie schlummern häufig ungenutzt in den Archiven. Neue Wege gehen hier in jüngster Zeit die Astronomen, die sich zur Zeit (vom 13. bis 26. Juli 2003) auf ihrem Weltkongress in Sydney treffen. Sie planen derzeit ein "Virtuelles Observatorium" – ein neuartiges Astronomie-Internet, das diese alte Wissenschaft in den kommenden Jahren von Grund auf verändern soll.
Freier Zugang für alle
Simon White, Direktor des Max-Planck-Instituts für Astrophysik in Garching, drückt seine Hoffnung für die Zukunft der Astronomie so aus: "Das 'Virtuelle Observatorium' soll den Astronomen in der ganzen Welt unmittelbaren Zugang zu allen Archivdaten geben." Er erklärt, dass sich die Forschungseinrichtungen bislang dadurch profiliert hätten, dass sie die besten Teleskope gebaut und ihren eigenen Astronomen Zugang zu ihnen verschafft hätten. Das solle sich in Zukunft ändern: Jeder soll überall und unmittelbar Zugang haben.
Weltweite Arbeitsteilung
Mit einem ersten Prototyp des "Virtuellen Observatoriums" ist es unlängst amerikanischen Forschern gelungen, aus dem Datenvergleich zweier Teleskope einen neuen kleinen, sehr leuchtschwachen Stern, einen so genannten Braunen Zwerg, ausfindig zu machen. Die Entdeckung gelang innerhalb von zwei Minuten – mit nur einem Teleskop hätte sie viele Wochen der Beobachtung erfordert.
"Die Idee ist aber nicht nur, dass es Zugang zu den Datenarchiven gibt, sondern auch, dass die Arbeit mit diesen Archiven auf die Computer weltweit verteilt wird," erläutert White. Das werde nach dem so genannten Grid-Paradigma geschehen. Die Arbeit wird auf eine weltweite Gitterstruktur aus Computern verteilt. Und in Zukunft werde man zu Hause sitzen und eine Anfrage an dieses System stellen können, ohne noch im Einzelnen zu sehen, wie und wo sie erledigt wird.
Das simulierte Universum
Astrophysiker beobachten nicht nur die Ereignisse im Kosmos, sie simulieren sie auch mit Hilfe von aufwändigen Computerprogrammen. Im "Virtuellen Observatorium" der Zukunft sollen auch diese Simulationen für jedermann zugänglich sein. Volker Springel, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching, spricht von der Supersimulation, Millenium-Run genannt, die das Institut plant. Diese Simulation werde die bisherige Forschung weit hinter sich lassen und soll als Pilot-Projekt in ein "Theoretical Virtual Observatory" Eingang finden.
In der Auswertung dieses Projektes werde es darum gehen, Kataloge von hunderten Millionen theoretisch produzierten Galaxien zu erstellen, die dann auch theoretisch vorausgesagte Eigenschaften haben. Darin würden dann Angaben über ihre Form, ihre Leuchtkräfte und ihre Entstehungsgeschichten enthalten sein, die später von Beobachtern abfragt werden könnten. Die Informationen des "Theoretical Virtual Observatory" könnten dann direkt mit den Ergebnissen von großen Beobachtungsprogrammen verglichen werden.
Astronomie für jederman
In Russland geht die Forschung zur Zeit ganz andere Wege. Hier können planetarische Gesellschaften sowie wissenschaftliche Bildungsinstitutionen nur wenig der knapp bemessenen Forschungszeit an einem der rund 20 großen Teleskope etwa auf Hawaii oder Chile ergattern. Eine neue Technik könnte jetzt Abhilfe schaffen. In Echtzeit sollen die Bilder eines Observatoriums, das auf einer geo-stationären Bahn in 36.000 Kilometern Höhe unseren Planeten umkreist, direkt übertragen und in jede Wohnstube gebracht werden. Der Empfang soll ähnlich einfach wie beim Satelliten-Fernsehen funktionieren. Und wer keinen entsprechenden Anschluss hat, kann sich über das Internet bei einer Zentrale einloggen.
Große Visionen
Insgesamt wird es aber nicht leicht werden, für alle Daten und Programme einheitliche Formate und Nutzungsstandards zu etablieren. Bis die Astronomen in aller Welt per Browser in bislang unbekannte Tiefen des Kosmos reisen können, werden noch Jahre vergehen.
Immerhin laufen in Amerika und Australien, aber auch in Russland, China und Indien derzeit die ersten Projekte an. In Europa engagieren sich vor allem Wissenschaftler in Großbritannien und Deutschland um weltweit einheitliche Standards. Eine erste einfache Version des weltweiten "Virtuellen Observatoriums" soll im Jahr 2005 fertig werden. Und von da an wird es immer weniger wichtig sein, ob ein Astronom an einem reichen Institut arbeitet, das ein großes Teleskop betreibt. Vielmehr wird es darauf ankommen, ob es ihm gelingt, die vorhandenen Daten und Programme kreativ zu nutzen.