Der "Grüne" im Vatikan
2. April 2005"Unbestreitbar ist, dass wir in dem Sinn auf Kosten der unterentwickelten Völker leben, dass unser Überverbrauch ihre Verbrauchsmöglichkeiten schmälert, weil sich so viel, wie wir für uns allein in Anspruch nehmen, für alle nicht verfügbar machen lässt."
Diese Kritik äußerte der Jesuit Oswald von Nell-Breuning 1980. Der bedeutendste Vertreter der Katholischen Soziallehre im 20. Jahrhundert markierte die Grenzen des Wachstums in den Industriestaaten.
"Solche Mengen von Rohstoffen und Energie, wie dieser beschleunigt fortschreitende Wachstumsprozess verschlingt, gibt es auf dieser Erdkugel nicht."
"Unvorstellbare Selbstzerstörung"
Nell-Breuning bezieht sich ausdrücklich auf das im Jahr zuvor erschienene päpstliche Rundschreiben über die Würde des Menschen in Christus. In "Redemptor hominis", seiner ersten Enzyklika, schrieb Johannes Paul II. bereits wenige Monate nach seinem Amtsantritt:
"Der Mensch von heute scheint immer wieder von dem bedroht zu sein, was er selbst produziert... Er befürchtet, dass seine Produkte..., die ein beträchtliches Maß an Genialität und schöpferischer Kraft enthalten, sich in radikaler Weise gegen ihn selbst kehren könnten; er fürchtet, sie könnten Mittel und Instrumente einer unvorstellbaren Selbstzerstörung werden."
Schöpfung und Ausbeutung
Umweltverschmutzung und Naturzerstörung schienen dem Papst "das wichtigste Kapitel des Dramas der heutigen menschlichen Existenz". Sie waren Johannes Paul II. in doppelter Hinsicht bedrohlich: als Selbstentfremdung des Menschen und als Selbstverfehlung des Christen:
"Der Mensch scheint oft keine andere Bedeutung der Umwelt wahrzunehmen als allein jene, die den Zwecken eines unmittelbaren Gebrauchs und Verbrauchs dient. Dagegen war es der Wille des Schöpfers, dass der Mensch der Natur als ... besonnener und weiser Hüter und nicht als Ausbeuter und skrupelloser Zerstörer gegenübertritt."
Kirchliche Pflicht gegenüber der Natur
Der Theologe Bernhard Häring interpretierte diese Deutung als eine konsequente Fortsetzung der kirchlichen Soziallehre. In seinem Kommentar zur Antrittsenzyklika von Karol Wojtyla bemerkte Häring:
"Neu sind die Ansätze der Enzyklika für eine Umweltethik, ganz im Sinne des Club of Rome. Man darf erwarten, dass die Sozialethik der Kirche diesem Anliegen in Zukunft große Aufmerksamkeit schenken wird."
Die Hoffnung Härings harrt freilich noch ihrer Erfüllung. Denn bis heute versagt sich die katholische Soziallehre nachhaltig der ökologisch-globalen Aspekte einer solidarischen Gesellschaft in der einen Welt.
Haltung der Demut wiedergewinnen
"Als Papst Johannes Paul II. ins Amt kam, musste ich manchmal wirklich so ein bisschen lachen, weil mir das alles sehr vertraut erschien, was dieser Papst, der ja in manchen anderen Fragen gesellschaftspolitischer Art sehr, sehr konservativ und rigide war, hier wirklich forderte, wo er vehement für stritt", stellt Christa Nickels fest. Die engagierte Katholikin ist Gründungsmitglied der grünen Umweltpartei und als langjährige bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte.
Als die Grünen wegen ihrer Stellung zur Abtreibungsgesetzgebung der deutschen Kirche noch als unwählbar galten, hatte der Grüne im Vatikan ihr eigentliches Thema schon als zentral für die Botschaft der Kirche angesprochen. Und als die Kirche noch ganz dem Ost-West-Konflikt verhaftet war und sich erst zögerlich der Umweltthematik näherte, hatte Johannes Paul II. längst die ökologische Dimension des Nord-Süd-Konfliktes im Blick. Mehr als ein Jahrzehnt vor der europäischen Wende von 1989/90 mahnt er in seiner Antrittsenzyklika:
"... zur Prüfung der Strukturen und Mechanismen im Bereich der Finanzen und des Geldwertes, der Produktion und des Handels, die mit Hilfe von verschiedenen politischen Druckmitteln die Weltökonomie beherrschen: Sie zeigen sich unfähig, die aus der Vergangenheit überkommenen Ungerechtigkeiten aufzufangen oder den
Herausforderungen und ethischen Ansprüchen der Gegenwart standzuhalten."
Kluft zwischen Armut und Reichtum
Die Kluft zwischen Armen und Reichen in der Welt werde nicht zuletzt dadurch vergrößert, dass die Reserven an Naturschätzen und Energie in beschleunigtem Tempo vergeudet werden, begründete Johannes Paul II.
"Diese dramatische Lage darf uns nicht gleichgültig sein: Derjenige, der höchsten Profit daraus zieht, und derjenige, der davon Unrecht und Schaden erleidet, ist in jedem Fall der Mensch."
Neue ethische Prinzipien im Verhältnis zur Umwelt
"Er ist ja vielen bekannt durch seine intensive Reisetätigkeit, wo eine seiner wichtigsten Botschaften war, die Welt insgesamt als Schöpfung zu denken. Das kommt ja der säkularen Definition von Globalisierung sehr nahe. Und er hat darauf hingewiesen, dass wir in einem endlichen Kosmos leben, wo der Mensch gut beraten ist, die Reichtümer und Ressourcen gerecht aufzuteilen und nicht in der Art und Weise, wie wir es ja heute leider immer noch beklagen müssen, dass 20 Prozent der Menschen 80 Prozent der Güter dieser Welt konsumieren. Das Ergebnis davon ist, dass massenhaft Menschen verhungern, in Elend leben und dass sich aus dieser himmelschreienden Ungerechtigkeit kriegerische Konflikte ergeben", zieht Christa Nickels ihr Resumee dieses Pontifikats.
Eine eigene Enzyklika zur globalen Herausforderung, auch für die Kirche, hat Johannes Paul II. freilich nicht verfasst. Doch wie ein roter Faden zieht sich die grüne Thematik durch seine Schriften, Erklärungen und Predigten. Seine Kritik an westlichem Fortschrittswahn, die bis heute die Politik bestimmt, fand jedoch wenig Widerhall. Und selbst Katholiken in den reichen Ländern überhören bis heute leichtfertig seine Absage an den materialistischen Lebensstil und seine Mahnung zum Umdenken zugunsten der Armen in der Welt.