Der große Kraftwerksstreit
23. Januar 2015Die 27 ist seit kurzem eine magische Zahl in der deutschen Energiewirtschaft. Denn zu Jahresbeginn kletterte der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromproduktion auf 27,3 Prozent. Damit produzieren Solaranlagen, Windräder und Biogasanlagen achtmal mehr Strom als 1990 und führen inzwischen die Liste der Stromproduzenten in Deutschland an. Das könnte eigentlich eine gute Nachricht für einen ambitionierten Klimaschutz in Deutschland sein, wenn da nicht die zahlreichen Braunkohle-Kraftwerke wären.
Steinkohle konkurriert mit Ökostrom
Denn trotz der deutschen Vorreiterrolle bei der Einführung klimafreundlicher Ökostromkraftwerke sinken die Treibhausgasemissionen des Stromsektors nur langsam. So stießen die Kraftwerke hierzulande im vergangenen Jahr mit mehr als 300 Millionen Tonnen Kohlendioxid nahezu gleich viel aus wie fünfzehn Jahre zuvor. Der Grund: Gefallene Weltmarktpreise für Steinkohle und ein nicht funktionierender europäischer Emissionshandel machen Strom aus alten Stein- und Braunkohle-Kraftwerken konkurrenzlos günstig. Und das hat Folgen, denn hocheffiziente Gaskraftwerke sind zu teuer und fliegen aus dem Markt. Zurück bleiben Ökostromkraftwerke und eine Vielzahl besonders klimaschädlicher Braunkohle-Meiler.
Für den Chef des Naturschutzverbands BUND, Hubert Weiger, ein Affront: "Es kann doch nicht sein, dass aufgrund falscher marktwirtschaftlicher Signale umweltverträglichere Kraftwerke stillgelegt werden und andere Kraftwerke mit maximalen Umweltbelastungen so intensiv in Betrieb genommen sind wie selten zuvor." Und auch der Verbandschef vieler Gas- und Kohlekraftwerksbetreiber, BDEW-Präsident Johannes Kempmann, will der Bundesregierung ein schlechtes Gewissen machen. "Es klemmt, es ruckelt und es geht an vielen Stellen nicht wirklich voran", sagte Kempmann auf der Jahrestagung der Energiewirtschaft in Berlin zum Stand der Energiewende. Ihm liegen Zahlen vor, denen zufolge der CO2-Ausstoß aller inländischen Kraftwerke in den vergangenen zwei Jahren sogar gestiegen sei. "Da kann doch irgendwas nicht ganz richtig laufen", kritisierte Kempmann.
Regierung will mit nationalem Klimaaktionsplan gegensteuern
Das kratzt an Deutschlands Glaubwürdigkeit, insbesondere weil schon Ende des Jahres in Paris ein neuer Weltklimavertrag für die Zeit nach dem Auslaufen des Kyoto-Protokolls im Jahr 2020 verabschiedet werden soll. Auf dem Papier sind hier Deutschlands CO2-Reduktionsziele ambitioniert. Um mindestens 40 Prozent will die Regierung die Treibhausgasemissionen bis 2020 senken - verglichen mit dem Stand von 1990. Bis 2050 soll das Land gar 95 Prozent weniger CO2 ausstoßen. Für Klimaforscher Ottmar Edenhofer ist das bei der aktuellen "Kohlerenaissance" nicht nur für Deutschland ein kaum erreichbares Ziel. Der Leiter des Potsdam-Instituts für Klimaforschung (PIK) rief auf der Jahrestagung der Energiewirtschaft zu einem Umsteuern beim Kraftwerkspark aus: "Eine CO2-Bepreisung ist der Kern jeder international vernünftigen Klimapolitik, weil nur durch einen CO2-Preis zum Ausdruck kommt, dass im 21. Jahrhundert die Atmosphäre knapp ist."
Die Regierung mühte sich unterdessen, Handlungsfähigkeit zu beweisen. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) präsentierte vor mehr als 1000 meist männlichen Managern aus der Energiebranche ein Konzept, wie sie die Klimaschutz-Ziele doch noch erreichen will. Mit dem im Dezember 2014 verabschiedeten nationalen Energieeffizienzplan sowie mit einem nationalen Klimaaktionsplan soll Deutschland noch die Kurve kriegen. "Wir werden da natürlich noch alle Anstrengungen unternehmen müssen", kündigte die Ministerin an. Ihr Ziel sei es aber, konkrete Maßnahmen bereits im kommenden Jahr vom Bundestag als Gesetz verabschieden zu lassen. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hatte parallel dazu ein Gesetz auf den Weg gebracht, wonach Betreiber von Gas- und Kohlekraftwerken in den nächsten Jahren zusätzlich 22 Millionen Tonnen CO2 einsparen müssen. Ebenfalls eine Maßnahme, die helfen soll, die hochgesteckten Klimaschutzziele zu retten. Die Energieunternehmen stellen es allerdings als einen Angriff auf die Versorgungssicherheit im Land dar.
Kohleausstieg – oder doch Subventionen für Alt-Kraftwerke?
Kein Wunder, dass auf der Jahrestagung der Branche viele Sturm liefen."Konventionelle und sichere Kraftwerke bleiben noch lange unersetzlich", sagte der Chef des Energieversorgungs-Giganten Eon, Johannes Teyssen. Er forderte die Regierung auf, Gas- und Kohlekraftwerke nicht aus dem Markt zu drängen, sondern ihnen im Gegenteil eine Prämie dafür zu geben, dass sie rund um die Uhr zur Stromproduktion bereitstünden.
Rund 50 Anträge auf Kraftwerkstillegungen liegen der Bundesnetzagentur derzeit vor. Unter Lobbyisten wird dies mit dem Begriff des "Kapazitätsmarkts" diskutiert - und soll garantieren, dass selbst mit immer mehr Ökostrom im Netz noch ein Restbestand an fossilen Kraftwerken am Netz bleibt, der die Schwankungen von Wind- und Sonnenstrom ausgleicht. Weil viele traditionelle Kraftwerke nicht mehr rentabel sind, wollen die Betreiber jetzt Subventionen vom Staat. Eine Forderung, die Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel in einem Zeitungsinterview mit dem Handelsblatt scharf zurückwies. Das eigentliche Interesse der Kraftwerksbetreiber sei es, so Gabriel, "existierende Überkapazitäten auf Kosten der Stromverbraucher zu konservieren".
Die Antwort kommt auf der Handelsblatt-Jahrestagung der Energiewirtschaft in Berlin prompt. "Totaler Blödsinn", schallt es dem Wirtschaftminister vom Chef-Lobbyisten der großen Energieversorger entgegen. "Es geht schlicht und ergreifend um die Frage der Versorgungssicherheit: Wollen wir sie oder wollen wir sie nicht?", fragt Johannes Kempmann. Und ein ganzer Saal von Managern von Stadtwerken und großen Stromversorgern applaudiert frenetisch. Besonders für deutsche Stromkunden dreht sich nach der Förderung der Erneuerbaren Energien jetzt alles um die Frage: Folgt bald eine Abgabe, die auch Reservekraftwerke finanziert?
Was Stanislaw Tillich, Ministerpräsident Sachsens auf der Tagung zu berichten wusste, dürfte Stromkunden wie Klimaschützer gleichermaßen beunruhigen. Tillich forderte, dass es jetzt an der Zeit sei, auch Kohle-, Gas- und Erdöl-Produzenten hierzulande wieder Investitionssicherheit zu geben. "Wenn wir auch in Zukunft eine erfolgreiche Energiewirtschaft haben wollen, dann brauchen für beide Teile des Markts Investitionssicherheit." Für viele klingt das wie ein Aufruf, auch alte Braunkohle-Kraftwerke zu subventionieren - und das ausgerechnet vor der Weltklimakonferenz in Paris.