Der große Elektromarsch
29. April 2014Bislang sind auch in China Hybrid- und Elektroautos selten gesehene Exoten auf den Straßen. Aber an deren regelmäßigen Anblick werden sich die Chinesen schneller gewöhnen, als wir hier im Westen. Denn die diesjährige Pekinger Automesse Ende April hat eines deutlich gezeigt: Hybrid- und Akkumotoren gehören zu den heißesten Produkten auf dem asiatischen Markt. So viele neue grüne Modelle wie in der letzten Woche wurden bisher auf keiner anderen Automesse vorgestellt.
Besonders prominent waren dabei die deutschen Hersteller vertreten. Für Aufsehen sorgte das Modell Denza, Produkt einer Kooperation zwischen Daimler und der chinesischen Marke BYD. Für um die 30.000 Euro bietet Mercedes ein reines E-Auto mit 300 Kilometern Reichweite - für diesen Preis eine Neuheit. Audi zeigte einen elektrischen A3 und Volkswagen kündigte zwei neue Hybridmodelle an.
Benzin-Traditionalisten als Bremser
Und das alles, obwohl die deutsche Autoindustrie bei der Entwicklung der E-Mobilität lange getrödelt hat. Die Benzin-Traditionalisten in den Konzernen hatten sich lange dagegen gesträubt. Und sie hatten ein gutes Argument. Sie konnten sich nicht vorstellen, wie Deutschland flächendeckend, oder auch nur Stadtweise, mit Ladestationen versorgt werden könne.
Doch nun kommt China ins Spiel. Der chinesischen Politik trauen die deutschen Auto-CEOs dies eher zu. Zudem ist die chinesische Führung in der Lage, die Autofahrer zu zwingen auf E-Autos umzusteigen. Vor einigen Jahren schon wurden Motorräder in Peking verboten. Nun ist die Metropole Welthauptstadt der Elektrozweiräder und nicht etwa München, Berlin oder Zürich. Auch bei Autos hat Peking schon angefangen, Maßnahmen zu ergreifen. In der Hauptstadt gibt es strenge Quoten für die Zulassung von Neuwagen. Die Anzahl der erlaubten Neuzulassungen wurde auf 150.000 pro Monat begrenzt. Jeden Monat melden sich allerdings zehnmal so viele Menschen an, um ein Auto zu kaufen. Da hilft nur ein Losverfahren. Als die Zahl der erlaubten Neuzulassungen bekannt gegeben wurde, verloren die Aktien der Autobauer erst einmal ordentlich an Wert. Und da sich auch im Rest des Landes langsam durchsetzt, dass China nicht unter Dauernebel sondern giftigem Smog leidet, werden auch viele andere Millionenstädte beginnen, einen Teil der Autos zu verbannen.
Druckmittel Dauersmog
Die chinesische Führung ist nicht unbedingt vernünftiger als die Deutsche, die Not ist einfach größer. Peking und Schanghai haben weltweit die schmutzigste Luft. 30 Prozent davon sind Autoabgase. Selbst von chinesischen Wissenschaftlern wurde Peking kürzlich als "nicht lebenswerte Stadt" eingestuft. 5,85 Millionen Autos für eine Stadt mit 20 Millionen Einwohnern sind einfach zu viel. Und da der neue Staats- und Parteichef Xi Jinping den Ruf hat, hart durchzugreifen, werden die Chefs der deutschen Autokonzerne nun plötzlich sehr aktiv und unglaublich zuversichtlich. VW-Chef Martin Winterkorn kommt nun sogar ein fast schnippisches Lächeln über die Lippen, wenn er über Hybridautos in China spricht. Auch die Vorbereitungen in der chinesischen Regierung deuten darauf hin, dass sich bald etwas tun wird: Eine Regelung, die für Neuwagen Null-Emmission in einer Stadt wie Peking verlangt, die über einen gewissen Hubraum hinaus eine Hybrid-Nachrüstung vorsieht und Zollerleichterung für Hybridimportautos verspricht, liegt in der Luft. Die Regierung ist klug genug, die internationalen Player frühzeitig in diesen Prozess mit einzubinden. Das ist sonst nicht immer ihre Art gewesen. Die neue deutsche Elektroeuphorie, die sich auf der Automesse in Peking verbreitet hat, hat aber auch einen Nachteil.
Können die deutschen Modelle tatsächlich halten, was sie versprechen, fragen sich jetzt nämlich chinesische Politiker. Oder wollen die deutschen CEOs nur ihrem eigenen Management Beine machen? Eines jedenfalls ist klar: Keiner wird es ohne den anderen hinbekommen. Dem Westen gelingt es politisch nicht, zuhause einen Markt für Elektroautos zu schaffen. Die Chinesen können ohne westliches Know-How noch keine E-Autos in Massenproduktion herstellen. Sollte eine Zusammenarbeit gelingen, wird dies vielleicht sogar die erste große Errungenschaft der neuen multipolaren Weltordnung.
DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.