Friedhöfe in Berlin
27. April 2013
Es war einer meiner Exfreunde, der mein Interesse für die geheimnisvolle Welt der Berliner Friedhöfe weckte. Er hatte selbst einmal dort gearbeitet, früher zu DDR-Zeiten. Er war einfach nicht systemkonform genug gewesen und deshalb auf dem Friedhof gelandet: als Totengräber.
Um zu verhindern, dass Querdenker wie er Karriere machten, hatte das Staatssystem der DDR seine ganze eigenen Methoden. Sie durften weder ein Studium aufnehmen, noch ihren Wunschberuf ausüben. Die Behörden ließen erst locker, wenn die Problemfälle ruhig gestellt waren und sie auf niemanden mehr schlechten Einfluss ausüben konnten. Für meinen Exfreund hieß das: Endstation Friedhof.
Vor Grabstätten hatte die DDR sowieso keinen besonderen Respekt. 1961 zum Beispiel ließ das Regime die Mauer mitten durch den geschichtsträchtigen Invalidenfriedhof bauen. Dagegen konnten nicht einmal die Geister hochrangiger preußischer Generäle, die dort begraben lagen, etwas ausrichten.
Als ich das letzte Mal auf dem Invalidenfriedhof spazieren ging, schnappte ich auf, wie ein Tourguide französischen Teenagern erklärte, dass ein Drittel der Grabsteine - teilweise 200 Jahre alt - damals einfach niedergewalzt wurde. Und das alles, um Platz zu machen für einen breiten Betonstreifen mit Wachtürmen und Suchscheinwerfern.
Ruhe in Frieden - aber nicht ewig
Weniger als einen Kilometer vom Invalidenfriedhof entfernt liegt der Dorotheenstädtische Friedhof aus dem 18. Jahrhundert - weit genug entfernt, um vor Eingriffen beim Mauerbau verschont zu bleiben. Katzen streunen hier zwischen verwitterten Grabsteinen umher, unter dem Schutz von Maulbeerbäumen und Platanen liegen berühmte Persönlichkeiten begraben. Die Schriftsteller Bertolt Brecht, Heinrich Mann und Christa Wolf zum Beispiel, auch der Architekt Karl Friedrich Schinkel und der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau.
Zugegeben, als ich das erste Mal da war, hatte ich für die Gräber dieser Berühmtheiten gar keinen Blick. Ich war abgelenkt. Kleine, hässliche weißen Flaggen lugten an manchen Stellen aus dichtem Efeu hervor. Was hatten diese aufdringlichen Markierungen wohl zu bedeuten? "Stelle abgelaufen", las ich und das bedeutete: Schluss mit der ewigen Ruhe.
In Berlin gibt es um die 230 Friedhöfe mit einer Fläche von insgesamt 1200 Hektar. Viel Platz für den ewigen Frieden, sollte man meinen. In Deutschland jedoch werden Gräber nur gemietet, meistens für 20 Jahre. Familienangehörige können den Mietvertrag verlängern, müssen dann allerdings auch wieder zahlen. Tun sie das nicht, wird das Grab aufgelöst, die Grabstelle umgepflügt - und ein neuer Mieter zieht ein. Respekt vor den Toten? Soviel dazu.
Platz für Prominente, Gläubige und Atheisten
Nur wirklich berühmte Leute müssen ihre letzte Ruhestätte nicht an einen Nachmieter abtreten. Das regelt die Stadt: Berlin finanziert die Gräber seiner Promis. Und davon gibt es einige, über das ganze Stadtgebiet verteilt. Der Friedhof mit der größten Promidichte ist wahrscheinlich der Städtische Friedhof Schöneberg. Dort liegen Stars wie die Schauspielerin Marlene Dietrich oder der Modefotograf Helmut Newton begraben.
Zu den gruseligsten Berliner Friedhöfen zählt für mich der Friedhof Grunewald-Forst. Nicht nur weil er so verwildert und abgelegen in einem Waldstück liegt, sondern wegen seiner schaurigen Entstehungsgeschichte. Ganz in der Nähe, da wo die Havel einen Knick macht, wurden im 19. Jahrhundert hin und wieder Leichen angeschwemmt - von Menschen, die ertrunken waren oder sich gar das Leben genommen hatten. Weil Selbstmord in der Kirche damals als Todsünde galt, durften sie nicht auf kirchlichen Friedhöfen beerdigt werden. 1879 fand die Forstverwaltung eine pragmatische Lösung und erlaubte, dass die mitunter unbekannten Toten im Grunewald-Forst beigesetzt werden konnten. Bis heute trägt der Friedhof deshalb den Beinamen "Selbstmörderfriedhof".
Tolerant zeigten sich auch andere Friedhöfe Berlins. So gab es ab 1847 einen eigenen für Atheisten, im heutigen Stadtteil Prenzlauer Berg. Seit der Friedhof in den 1990ern zu einem Park umgestaltet wurde, schieben junge Mütter ihre Kinderwagen über den Spielplatz. Über einem der Eingangstore steht jedoch noch immer: "Schafft hier das Leben gut und schön, kein Jenseits ist, kein Aufersteh'n." Mit anderen Worten: Genieße dein Leben, solange es dauert. Denn Auferstehung und ewiges Leben gibt es nicht! Eine ziemlich progressive Haltung für die Mitte des 19. Jahrhunderts.
Eine ganz andere Stimmung herrscht dagegen auf dem Jüdischen Friedhof im nordöstlichen Stadtteil Weißensee. Für mich ist es einer der schönsten Friedhöfe Berlins. 1880 gegründet und inzwischen der größte jüdische Friedhof Europas, mit 115 000 Grabstellen. Hauptsächlich liegen dort Juden begraben, die vor dem Holocaust starben. Doch auch heute wird der Friedhof noch genutzt.
Grüne Oasen
In den letzten Jahren ist die Nachfrage nach alternativen Bestattungsmöglichkeiten wie Feuer- oder Seebestattungen rasant gestiegen. Das Ergebnis: Die Friedhöfe haben eher zu viel Platz. Das brachte den Senat auf eine Idee. Langfristig soll ein Drittel des städtischen Friedhofareals anders genutzt werden.
"Es sind Orte des Gedenkens, der Trauer. Friedhöfe sind aber auch Orte der Entspannung und Ruhe, und es sind Biotope", heißt es auf der Website des Senats für Stadtentwicklung. Er ermuntert die Berliner, ihre Friedhöfe auch einfach wie eine Parkanlage zu nutzen - mit dem nötigen Respekt natürlich.
Ich mache das bereits. Und ich bin nicht die einzige. Morgens jogge ich über einen Friedhof in Pankow. Begleitet von Vogelgezwitscher. Ich habe sogar schon Eulenrufe gehört. Und vor einigen Wochen habe ich einen Fuchs gesehen. Ich kann mich nur dem Schriftsteller Theodoar Fontane anschließen. Der sagte einmal: "Nichts ist so lebendig, wie ein Friedhof."