Kritischer Freigeist unter Hausarrest
23. August 20171. Wer ist Kirill Serebrennikow?
Kirill Serebrennikow ist ein international bekannter russischer Theater-, Film- und Opernregisseur. Der 47-jährige Künstler ist ein Freigeist. Der russischen Führung steht er kritisch gegenüber und spricht offen über Missstände in Russland. Er leitet das private "Gogol-Theater" in Moskau, hat aber auch schon unter anderem an der Komischen Oper Berlin und der Stuttgarter Oper gearbeitet. Seine Inszenierungen wurden bei den Wiener Festwochen und dem Festival von Avignon aufgeführt. In Cannes sowie bei den Filmfestivals in Locarno, Rom und Warschau wurden seine Filme gezeigt. Serebrennikow hat schon viele internationale Auszeichnungen erhalten.
2. Was wird ihm vorgeworfen?
Serebrennikow wurde am 22. August in Sankt Petersburg festgenommen, wo er gerade einen neuen Film drehte. Die Festnahme ist der bisherige Höhepunkt in einem Verfahren wegen Untreue, das sich seit Monaten hinzieht. Wegen Betrugsverdacht wird gegen mehrere frühere Mitarbeiter von Serebrennikows Projekten ermittelt, darunter auch gegen die Produktionsfirma "Siebtes Studio". Am 23. August entschied ein Gericht, ihn unter Hausarrest zu stellen - vorerst bis zum 19. Oktober. Er darf unter anderem weder telefonieren noch im Internet surfen.
Serebrennikow wurde erst als Zeuge vernommen. Im Mai durchsuchten die Behörden seine Wohnung und die Räumlichkeiten des "Gogol-Theaters". Obwohl nichts Verdächtiges gefunden wurde, wurde Serebrennikow als Mittäter eingestuft - und sein Reisepass eingezogen. Seitdem durfte er nicht mehr ins Ausland reisen.
Vor zwei Wochen warf eine bereits inhaftierte ehemalige Buchhalterin der Produktionsfirma "Siebtes Studio" Serebrennikow vor, einen Betrug organisiert zu haben. Und das staatliche Ermittlungskomitee in Moskau erklärte, er stehe im Verdacht, zwischen 2011 und 2014 öffentliche Mittel in Höhe von 68 Millionen Rubel (umgerechnet rund eine Million Euro) veruntreut zu haben. Serebrennikow sei der Drahtzieher des Betrugs, so die Ermittler. Daher sei er festgenommen und wie ein Schwerverbrecher in Handschellen abgeführt worden. Serebrennikow selbst weist alle Vorwürfe kategorisch zurück.
3. Was ist an den Vorwürfen dran?
Bis jetzt haben die Ermittlungsbehörden noch keinen einzigen Beweis vorgelegt. Alle Vorwürfe gegen Serebrennikow stammen von jener ehemaligen Buchhalterin, die jedoch bei früheren Vernehmungen mehrmals ihre Aussagen geändert hatte, sowie angeblich von einer weiteren festgenommenen ehemaligen Mitarbeiterin des Regisseurs.
Merkwürdig ist auch, wie sich der Fall entwickelte. Erst warfen die Ermittler Serebrennikow vor, öffentliche Mittel in Höhe von 2,3 Millionen Rubel veruntreut zu haben, die für eine Inszenierung bestimmt gewesen seien, die gar nicht aufgeführt worden sei. In Wirklichkeit wurde das Stück "Sommernachtstraum" von Shakespeare aber mehrmals gezeigt und läuft immer noch in Moskau. Das Vorgehen der Behörden war so plump, dass die Ermittler selbst von Putin belächelt wurden.
4. Was könnten die wahren Gründe sein?
Die Kreml-kritischen russischen Intellektuellen sind sich einig: Dies sei ein Versuch, Kulturschaffende in Russland einzuschüchtern, die Schrauben noch enger anzuziehen und die künstlerischen und politischen Freiheiten weiter einzuschränken. Serebrennikow war der Staatsmacht schon lange ein Dorn im Auge. Im Jahr 2013 wurde eine Verfilmung des Lebens von Peter Tschaikowski verhindert. Der Regisseur habe sich geweigert, die Homosexualität des russischen Komponisten "außen vor zu lassen", sagte damals der russische Kulturminister. Im Juli 2017 wurde die Premiere von Serebrennikows Ballettstück "Nurejew" im Moskauer Boschoi-Theater nur vier Tage vor der Aufführung abgesagt. Offenbar, weil der Regisseur in dem Stück unter anderem die Homosexualität des Balletttänzers Rudolf Nurejew zum Thema gemacht hatte.
Nun wird Serebrennikow als Drahtzier einer angeblichen Betrugsaffäre dargestellt. "Natürlich handelt es sich um repressive Maßnahmen, Einschüchterung, um eine absolut beispiellose und nicht nachvollziehbare Brutalität", sagte der bekannte russische Filmkritiker und Journalist Anton Dolin im DW-Gespräch.