Sie oder er?
26. August 2009Leonard Chuene, der südafrikanische Leichtathletikchef, preschte voran: Die Vorwürfe gegenüber Caster Semenya seien "rassistisch", und was "den Weißen einfiele, die genetische Struktur einer afrikanischen Frau anzuzweifeln". Andere, wie der notorische Verbalhooligan und Präsident der einflussreichen Jugendliga des regierenden ANC, Julius Malema, stimmten munter ein. Die "rassistischen Attacken" würden nur gefahren, weil Semenya eine "hübsche Afrikanerin" sei. Wieder andere zogen ernsthaft Vergleiche mit der Khoisanfrau Saartjie Baartman, die im 18. Jahrhundert im Hagenbecker Tierpark in Hamburg nackt ausgestellt wurde. Selbst die Mutter der 800-Meter-Gewinnerin, Dorcus Semenya, ließ sich zu der Aussage hinreißen, die Untersuchungen seien von Neid motiviert und dem Bestreben, schwarze Menschen "klein zu halten".
Vorschnelle Vorwürfe
15 Jahre nach dem offiziellen Ende der Apartheid ist Rassismus nach wie vor Alltag in der selbsterklärten Regenbogennation. Besagter ANC-Politiker Malema verglich im Wahlkampf politische Gegner mit "garden boys" – eine böse Beleidigung aus dem Repertoire der weißen Apartheidschergen. Und schwarze Simbabwer können ein Lied von der Xenophobie singen, die ihnen im Nachbarland entgegenschlägt.
Zwei Dinge verstören an dem Fall Caster Semenya: Wie vorschnell die Südafrikaner aus einem allenfalls sportpolitischen Fall einen Rassismusfall konstruieren und dabei willentlich ignorieren, dass ähnliche Untersuchung zuvor sehr wohl auch bei "weißen" Athleten angestrengt wurden. Nun sind 15 Jahre eine relativ kurze Zeit, um den Ballast der Apartheid-Vergangenheit komplett über Bord zu werfen, und vor diesem Hintergrund mag man gewillt sein ein Auge zuzudrücken.
Inflation des Begriffes "Rassismus"
Beängstigender ist daher eher, wie schnell die Rassismusvorwürfe aus Südafrika Widerhall in anderen afrikanischen Ländern fanden: "Die IAAF testet Semenya, weil sie Afrikanerin ist", schrieb ein Leitartikler in Nigerias Tageszeitung "The Punch". "Bei einer Jamaikanerin, einer Britin oder Deutschen würden sie sich das nicht trauen. Also muss ein Afrikaner als Laborrate der IAAF herhalten". Das ist starker Tobak und erinnert an den Fall Simbabwe, als die Vertreibung weißer Farmer auf dem Restkontinent wohlwollend bis enthusiastisch goutiert wurde.
Es gibt unbestritten nach wie vor Rassismus gegenüber Schwarzen - und dieser gehört angeprangert, wo immer er seine hässliche Fratze zeigt. Geschieht dies jedoch als Reflex, dann erweist man einer guten Sache einen Bärendienst: Tatsächliche Rassismusfälle verschwinden dann unter "ferner liefen". Eine ähnliche Inflation hat der Begriff "Holocaust" erlitten.
Opfer skrupelloser Sportfunktionäre
Glaubt man der Schweizer Zeitung "Blick" und jenen Experten, die etwas genauer hinschauen, dann ist Semenya eben nicht Opfer weißen Rassismus, sondern vielmehr skrupelloser Sportfunktionäre in ihrem Heimatland geworden. Für diese Annahme spricht einiges. Südafrikas Sportfunktionäre haben einen leidlich schlechten Ruf, wie die grotesken Zankereien innerhalb des WM-2010-Komitees beweisen. Demnach soll ein geheim gehaltener Geschlechtstest Anfang diesen Jahres gezeigt haben, dass Semenya ein "Hermaphrodit" ist, also sowohl mit männlichen als auch weiblichen Chromosomen und Geschlechtsmerkmalen ausgestattet. Leider werden die Ergebnisse der jüngsten Geschlechtsbestimmung nicht wie vorschnell angekündigt binnen einer Woche, sondern vermutlich erst in mehreren Wochen vorliegen. Das ist misslich, denn bis dahin drohen Amokläufer wie Malema und Chuene den Fall auszuschlachten. Alle in Afrika, die jetzt die Rassismuskarte spielen, sollten eines nicht vergessen: Der Mann, der als Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF letztlich verantwortlich ist für Semenyas Geschlechtstest, heißt Lamine Diack - und ist Afrikaner.
Autor: Ludger Schadomsky
Redaktion: Katrin Ogunsade