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Der ewige Beitrittskandidat?

Leona Frommelt2. Juli 2002

Die EU-Kommission hat dem Drängen der Türkei nach rascheren Beitrittsverhandlungen erneut eine Absage erteilt. Der Grund: Bei den politischen Rahmenbedingungen gibt es trotz einiger Fortschritte noch erhebliche Defizite.

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Ismail Cem zu Besuch in DeutschlandBild: AP

Bundesaußenminister Joschka Fischer verwies am Dienstag (2. Juni 2002) bei einem Treffen mit seinem türkischen Amtskollegen Ismail Cem darauf, dass die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen ausschließlich in den Händen der EU-Kommission liege. Er sicherte aber zu, das Land auf dem Weg in die EU weiter zu unterstützen. "Wir verfolgen mit sehr viel Sympathie die Öffnung der Türkei nach Europa", sagte Fischer.

Cem erklärte, die Türkei sei auf dem Weg, die politischen Kriterien zu erfüllen. Bezüglich des Datums für den Beginn von Beitrittsverhandlungen wolle man nicht anders behandelt werden als die anderen Beitrittskandidaten.

Kein politisches Tauschgeschäft

Der zuständige EU-Kommissar Günter Verheugen hatte sich bereits in der vergangenen Woche dagegen ausgesprochen, einen Termin in Aussicht zu stellen, bevor alle Beitrittsbedingungen erfüllt sind. Er schloss aus, dass die Europäische Union beim Gipfeltreffen Ende des Jahres in Kopenhagen ein Entgegenkommen der Türkei in der Zypern-Frage mit konkreten Zusagen für Beitrittsverhandlungen honorieren werde. "Die Kommission ist gegen einen Kuhhandel mit politischen Tauschgeschäften", sagte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (1. Juli 2002).

Die Europäische Kommission bewertet seit 1998 in jährlichen Fortschrittsberichten den Vorbereitungsstand der Türkei für die Aufnahme in die EU. Seit 2000 nahm die Kommission viele positive Entwicklungen in der Türkei zur Kenntnis, jedoch gibt es nach wie vor Kritikpunkte in den Bereichen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte.

Menschenrechte, Kurdenfrage, Wirtschaftskrise

Folter und Misshandlungen sind bis heute nicht verschwunden, obwohl die Behörden und das Parlament diese Angelegenheit ernst nehmen und Ausbildungsprogramme zum Thema Menschenrechte durchgeführt werden. Obgleich die Türkei eine grundlegende Reform des Gefängniswesens begonnen hat, haben sich die Haftbedingungen nicht verbessert. Noch immer kommt es regelmäßig zu Beschränkungen der Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit. Klar ist außerdem: Ohne Lösung der Kurdenfrage kein EU-Beitritt. Bisher gibt es aber weder kurdischsprachigen Unterricht noch kurdischsprachige Fernsehprogramme.

Auch wirtschaftlich scheint die Türkei noch nicht bereit für einen Beitritt zu sein. So erklärte der türkische Industrieverband, dass sich die Türkei in den letzten Jahren in der schlimmsten Wirtschaftskrise seit einem halben Jahrhundert befinde. Der Internationale Währungsfonds (IWF) unterstützte die Türkei im Jahr 2001 zwar mit 15,7 Milliarden Dollar, doch lässt die fehlende Wirtschaftskraft eine Aufnahme für viele Europäer nicht sinnvoll erscheinen. Auch könnte das Wirtschaftsprogramm ins Stocken geraten, denn der IWF knüpft seine Hilfe an Reformen im Land. Diese gibt es aber - wenn überhaupt – nur auf dem Papier.

Europa-Skepsis gedeiht am Bosporus

Während die EU nicht vor hat, auch nur einen Deut von ihren Beitrittskriterien abzuweichen, spielt die Türkei eine zunehmend einflussreiche Rolle in der internationalen Politik. Ihre Militärs führen die Schutztruppe in Afghanistan. Spätestens seit die türkische Fußballmannschaft zu den drei besten Teams der Welt gehört, hat das Land an Selbstvertrauen gewonnen – in gleichem Maße wächst die Skepsis gegenüber der EU.

Einige Experten warnen vor einem "Crash", auf den sich EU und Türkei beim Kopenhagen-Gipfel im Dezember zubewegen, wenn dort kein Termin für formelle Beitrittsverhandlungen genannt wird. Die Türkei muss wohl noch einen langen Weg gehen.