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Politik

Kalter Krieg in Lateinamerika?

Gabriel González Zorrilla
16. Februar 2022

In Moskau geben sich lateinamerikanische Präsidenten die Klinke in die Hand - und Russland kokettiert mit der Option, Raketen nach Lateinamerika zu verlegen. Eine realistische Gefahr? 

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Venezuela | russisches Kampfflugzeug Tu-160
Russischer Fernbomber Tu-160 in Venezuela (2018) Bild: Marcos Salgado/Xinhua/imago images

Der Besuch des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro in Moskau inmitten des größten Militäraufmarsches in Europa seit dem Kalten Krieg und eines möglichen Einmarsches russischer Truppen in der Ukraine sorgt im Westen für hochgezogene Augenbrauen.  

Gerade erst Anfang Februar hatte sich der argentinische Präsident Alberto Fernandez bei seinem Besuch in Moskau überschwänglich eine stärkere Rolle Russlands in Lateinamerika gewünscht: "Wir wollen sehen, wie Argentinien zu einem Tor nach Lateinamerika werden kann, damit Russland auf entschiedenere Weise in Lateinamerika Fuß fassen kann", sagte Fernandez zu Beginn des Treffens mit Putin im Kreml.  

Russland | Treffen Alberto Fernandez und  Wladimir Putin in Moskau
Alberto Fernandez war Anfang Februar zu Gast bei Putin in MoskauBild: Sergei Karpukhin/TASS/dpa/picture alliance

Diesem Wunsch schien Russland schon kurz zuvor in militärischer Hinsicht entsprechen zu wollen. Als Antwort auf die - aus russischer Sicht - Missachtung russischer Sicherheitsinteressen in Europa, könne Russland seine Militärpräsenz in Kuba und Venezuela verstärken. "Ich möchte weder etwas bestätigen noch ausschließen", so der russische Vizeaußenminister Sergej Rjabkow Mitte Januar. 

Droht Russland mit einer neuen Kuba-Krise? 

Im Westen werden bei solchen Tönen natürlich Erinnerungen an die Kuba-Krise von 1962 wach. Die damalige Krise um die Stationierung von russischen Raketen in Kuba brachte die Welt an den Rand eines Atomkriegs. Letztendlich kam es zu einem Tauschgeschäft. Die russischen Schiffe mit den Raketen an Bord drehten ab, und die USA zogen wenige Monate später Mittelstreckenraketen, die Moskau hätten erreichen können, aus der Türkei ab. Hofft Russland in der Ukraine-Krise auf einen ähnlichen Deal?  

Günther Maihold, Lateinamerikaexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, äußert sich im Gespräch mit DW eher skeptisch: "Eine neue Kuba-Krise heraufzubeschwören hat wenig Innovationspotenzial. Das würde nur auf eine schlechte Kopie hinauslaufen." Die Möglichkeit, dass Russland wirklich seine Militärpräsenz - etwa mit Raketen oder Fernbombern - dauerhaft in Lateinamerika erhöht, schätzt Maihold als gering ein.

Dafür seien Kuba und Venezuela viel zu schwach und ohne Gewicht in der Region. "Auf der Ankündigungsebene funktioniert diese Inszenierung einer Bedrohungskulisse seitens Russlands aber ganz gewiss", so Maihold.     

Provokationen gehören zum diplomatischen Spiel  

Es ist auch nicht das erste Mal, dass Russland damit droht, sich militärisch stärker in Lateinamerika zu engagieren. Schon 2008 drohte Russland mit der Stationierung von atomar bestückten Fernbombern des Typs Tu-160 auf Kuba und in Venezuela. Auslöser waren damals Pläne des Westens, ein Raketenabwehrsystem in Polen und Tschechien zu installieren.  

2014 berichteten russische Medien über die die eventuelle Reaktivierung der ehemaligen sowjetischen Abhörbasis "Lourdes" in der Nähe Havanna. Die Abhörstation ist bis heute immer noch stillgelegt, dient aber Russland anscheinend immer wieder als Drohkulisse, um die USA vor dem Überschreiten "roter Linien" in Europa zu warnen.  

Nicolas Maduro, Präsident von Venezuela
Venezuelas Präsident Nicolás Maduro sucht die Nähe zu RusslandBild: picture alliance/dpa/Prensa Miraflores

Venezuela und Kolumbien ziehen ihren eigenen Nutzen 

Doch abseits eher symbolischer Drohkulissen aus Moskau haben lateinamerikanische Länder und regionale Akteure durchaus ihre eigenen Interessen und versuchen zum Teil auch aus der Ukraine-Krise Nutzen zu ziehen. Beispielsweise die Regierung von Nicolás Maduro in Venezuela. "Maduro hat ein Interesse daran, seine Themen auf so eine Konfrontation draufzusatteln, um sich für Russland interessant zu machen und eventuell Vorteile zu verschaffen." Ein solcher Vorteil wäre beispielsweise, einen weiteren Vorwand zu finden, um die Dialogrunden mit der venezolanischen Opposition in Mexiko endgültig zu begraben, so Maihold.  

Nachbarland Kolumbien, einziger "globaler Partner" der NATO in Lateinamerika, hat anscheinend auch die Möglichkeit entdeckt, politisches Kapital aus der Ukraine-Krise zu schlagen. Auf seiner aktuellen Europareise ließ Präsident Iván Duque keine Gelegenheit aus, auf die Gefahr hinzuweisen, die von Russland in der Region ausginge. Außenminister Diego Molina wies vergangene Woche auf die Präsenz russischen Militärpersonals in Venezuela im Grenzgebiet zu Kolumbien hin und sprach von "ausländischer Einmischung". Reale Gefahr oder innenpolitisches Instrument?

In Kolumbien finden im März Parlamentswahlen statt und Ende Mai Präsidentschaftswahlen, bei denen ein linksgerichteter Kandidat als aussichtsreichster Nachfolger des rechtsgerichteten Duque gehandelt wird.  

"Iván Duque hat die russische Präsenz als Bedrohung für Kolumbien aus innenpolitischen Gründen hochgezogen", so Maihold. "Das war ein Manöver, um einen bestimmten Kandidaten im Wahlkampf in die Nähe einer an die Wand gemalten kommunistischen Bedrohung zu rücken."  

Mexikos selbstauferlegte außenpolitische Abstinenz 

Dass sich regionale Akteure aus der "zweiten und dritten Reihe" versuchen, auf der Weltbühne zu inszenieren, liege aber auch daran, so Maihold, dass sich Lateinamerika massiv aus der internationalen Politik abgemeldet habe. Die regionalen Schwergewichte Mexiko und Brasilien würden in der Gegenwart auf der internationalen Ebene quasi keine Rolle mehr spielen. 

Beispiel Mexiko: Die zweitwichtigste Volkswirtschaft Lateinamerikas habe unter Präsident Andrés Manuel López Obrador die Nichteinmischung zum Prinzip erhoben. Das außenpolitische Profil Mexikos sei mittlerweile so abgesunken, das auf internationaler Bühne kaum noch Impulse zu erwarten seien.  

Lopez Obrador Präsident Mexiko
Mexikos Präsident López Obrador nahm 24 Millionen Sputnik V-Impfdosen aus RusslandBild: Luis Barron/Eyepix/NurPhoto/picture alliance

Andererseits hat López Obrador Anfang 2021 Putin nach Mexiko eingeladen. Damals telefonierten die beiden miteinander und besprachen die Lieferung von 24 Millionen Dosen des russischen Impfstoffes Sputnik V. Die russische Impfstoff-Diplomatie in Lateinamerika könnte sich für Russland weitaus besser und nachhaltiger auszahlen als die kostspielige und politisch riskante Stationierung von Flugzeugen und Raketen.  

Argentinien sucht in Moskau einen Weg aus der Finanzkrise 

Auch Argentiniens Präsident Alberto Fernandez hatte den russischen Impfstoff im Blut. Das schien man ihm schon fast äußerlich anzumerken, als er während seines Besuchs Anfang Februar in Moskau geradezu überschwänglich Russland preiste. "Wir sind sehr dankbar, dass ihr zur Stelle wart, als niemand sonst uns Impfstoff geben wollte", sagte Fernández in Anwesenheit von Putin.  

"Die Art und Weise, in der Fernandez sein Land zur Einflugschneise Russland in Lateinamerika erklärte, hat mich doch überrascht", so Maihold. Doch auch der argentinische Präsident verfolgt mit seinem Schmusekurs gegenüber Russland eigene Interessen. Das südamerikanische Land ist beim Internationalen Währungsfonds (IWF) hoch verschuldet und sucht nach Wegen, sich aus dieser Abhängigkeit zu lösen. 

Trotz der aktuellen Aufmerksamkeit für Aktivitäten oder Drohkulissen Russlands in Lateinamerika im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise sei Moskau mit seiner Präsenz in der Region aber ohnehin kein Konkurrent für China, so Günther Maihold. Der asiatische Riese habe sich längst auf geräuschlose Art einen viel größeren Einfluss verschafft.