Der Drogenkrieg des Rodrigo Duterte
26. Juli 2016Ein Pappschild bedeckt den Leichnam, das Gesicht ist mit mehreren Lagen Klebeband umwickelt. Auf das Schild hat jemand mit Filzstift "Drogendealer" gekritzelt - was wohl gleichzeitig als Rechtfertigung und als Warnung gelten soll. Täglich kursieren Fotos und Berichte über getötete Drogendealer in den sozialen Netzwerken. Daten der philippinischen Polizei zufolge sollen allein in den zwei ersten Wochen nach Amtsantritt des neuen Präsidenten Rodrigo Duterte 135 mutmaßliche Drogendealer getötet und über 1800 verhaftet worden sein. Heruntergerechnet sind das in der ersten Julihälfte 10 Tote und 140 Verhaftete pro Tag.
Duterte hatte im Wahlkampf versprochen, den illegalen Drogenhandel und die Kriminalität innerhalb von sechs Monaten auszumerzen. Dies bescherte ihm bei den Präsidentschaftswahlen im Juni einen Erdrutschsieg. Duterte wiederholte das Versprechen bei seiner Antrittsrede und kündigte an, sein Krieg gegen den Drogenhandel werde "ausdauernd" und "unerbittlich" werden. Er rief sogar das philippinische Volk auf, ihn in seinem Kampf gegen das Verbrechen zu unterstützen und setzte Kopfgelder auf die Ergreifung oder Erschießung von Drogenhändlern aus.
Die Bevölkerung belieferte die Polizei mit immer mehr Hinweisen auf mutmaßliche Drogenhändler, Beamte durchkämmten verdächtige Wohnungen, und lokale Bürgermeister schütteten Belohnungen für jeden neu verhafteten Dealer aus. Der Bürgermeister von Cebu, der zweitgrößten Wirtschaftsmetropole der Philippinen, versprach seinen Polizeibeamten gar ein Kopfgeld von 50.000 philippinischen Pesos (etwa 900 US-Dollar) für jeden getöteten Drogenboss.
"Wir machen nur unseren Job"
"Über 66.000 Dealer und Konsumenten haben sich den Behörden gestellt, und unsere Quellen berichten schon jetzt davon, dass die Straßenkriminalität im ganzen Land zurückgegangen ist", berichtete der Sprecher der philippinischen Staatspolizei, Dionardo Carlos. Er verneinte zwar, dass seine Beamten Belohnungen für die Verhaftung von Verdächtigen annehmen würden, gab aber zu, dass die Polizei es "nicht verhindern" könne, wenn lokale Bürgermeister "Anreize setzen", um die Verbrechensbekämpfung zu verbessern. "Die philippinische Staatspolizei ist eine professionelle Organisation", versicherte Carlos. "Wir arbeiten nicht nach einem Prämiensystem. Wir machen nur unseren Job." Wie, das zeichnet eine führende Zeitung des Landes nach: mit der Veröffentlichung einer täglichen Todesliste, die die Anzahl der bei Polizeieinsätzen Getöteten dokumentiert.
Polizeisprecher Carlos verteidigte die Tötungen als Notwehr: "Diese Menschen hatten sich dazu entschieden, den Kampf gegen die Polizei aufzunehmen. Unsere Beamten haben sich nur verteidigt. Jedes eventuelle Fehlverhalten seitens der Polizei wird durch eine eigene Untersuchung überprüft." Eine Überprüfung durch den philippinischen Senat wurde vom Leiter der Staatspolizei, Ronald dela Rosa, allerdings als "juristische Spitzfindigkeit" bezeichnet, die nur dazu gedacht sei, "die Moral der Polizei zu unterminieren".
Menschenrechtler hingegen sind entsetzt. "Diese Tötungen und die Weigerung der Regierung, sie zu verurteilen oder eine Untersuchungskommission einzurichten, führen unweigerlich zu mehr Angst, Rechtsunsicherheit und Selbstjustiz", so Phelim Kine, Asien-Direktor von Human Rights Watch.
Massenandrang in den Hilfszentren
Zur gleichen Zeit kommt Joy Belmonte mit ihrer Arbeit nicht mehr hinterher. Belmonte ist die Vizebürgermeisterin von Quezon City - und Leiterin des städtischen Antidrogenprogrammes. Bis zum 15. Juli hatten sich in der Stadt 3000 Menschen bei den Behörden gemeldet. "Aber die Zahlen steigen täglich", sagt Belmonte. "Jeden Tag kommen Menschen zu uns, um sich zu stellen. Sogar Neunjährige. Sie sagen uns, dass sie Angst haben, geschnappt oder sogar umgebracht zu werden. Also geben sie lieber auf."
Belmonte erfasst von jedem einzelnen den Grad des Drogenkonsums, um unregelmäßige Konsumenten von schwer Abhängigen zu trennen. "Die gelegentlichen Konsumenten bekommen eine Beratung. Dann können sie wieder nach Hause. Die Abhängigen brauchen eine Therapie", erklärt Belmonte. Seit 2010 ist sie in ihrem Job, aber solch einen Ansturm auf die Drogenberatungsstellen des Landes habe sie noch nie erlebt. Derzeit gibt es 45 Beratungsstellen - das war schon zu Zeiten der Vorgängerregierung zu wenig. Jetzt brechen die Hilfszentren unter dem Ansturm der Menschen schier zusammen. Die Regierung hat sich des Problems bereits angenommen und bemüht sich darum, weitere regionale Hilfszentren im ganzen Land aus dem Boden zu stampfen.
Bürgerproteste
Doch die rigide Antidrogenpolitik der philippinischen Behörden stößt bei weitem nicht nur auf Zustimmung. "Ich las einen Zeitungsartikel, in dem der philippinische Polizeichef mit den Worten zitiert wurde: 'Wir haben schon so viele erwischt. Sollen wir etwa jetzt damit aufhören?'", regt Hope Swann sich auf: "Da schoss mir die Zornesröte ins Gesicht. Ich musste einfach was tun." Die 29-jährige Universitätsprofessorin schnappte sich einen Pappkarton und schrieb "Wir sind alle mögliche Drogendealer" darauf. Dann hängte sie sich das Schild um den Hals und lief den ganzen Weg von zuhause bis zur Uni. Ihre Studentin Adrienne Onday tat es ihr nach. Beide Frauen tragen das Schild jeden Tag auf dem Weg zur Uni und sagen, dass sie es nicht mehr abnehmen wollen, solange die Verantwortlichen ihre Politik nicht ändern. Andere folgen ihrem Protest. Unter dem Hashtag #CardboardJustice versuchen sie über Twitter, weitere Bürger zu mobilisieren, zudem planen Kommilitonen von Onday eine große Demonstration gegen Dutertes Antidrogenpolitik.
Ändern werden sie wohl nichts. Zu groß ist der Rückhalt in der Bevölkerung. Auch Polizeichef dela Rosa verteidigt die harte Linie der Polizei: "Wenn wir das nicht machen, regieren hier schon bald die Drogenbosse. Endlich haben wir einen Präsidenten mit - entschuldigen Sie den Ausdruck - Eiern, der den Drogenkartellen mit seiner Nulltoleranzpolitik mal die Grenzen aufzeigt."