Der Drogendschungel wuchert weiter
5. März 2013"Psychoaktive Substanzen", mit dem Fachbegriff können wahrscheinlich - abgesehen von Medizinern und Arzneimittelexperten - nur wenige etwas anfangen. Die denken dabei sofort an Schmerzmittel und erst danach an deren missbräuchliche Verwendung. Bei Werner Sipp ist es umgekehrt. Er ist der einzige Deutsche im Internationalen Drogenkontrollrat (INCB) mit Sitz in Wien. Gemeinsam mit zwölf Kollegen aus der ganzen Welt analysiert er regelmäßig die globale Entwicklung der legalen und kriminellen Drogenszene.
Am Dienstag (05.03.2013) präsentierte das Gremium in mehreren Städten den Jahresbericht 2012. Sipp fasste die Ergebnisse in Berlin zusammen. Sein alarmierender Befund: Psychoaktive Substanzen sind weltweit auf dem Vormarsch. Was im Drogenmilieu und in Medien oft als "Designerdrogen" bezeichnet wird, stelle eine "wachsende Bedrohung für die öffentliche Gesundheit dar", betonte Sipp. Im Unterschied zu harten Drogen wie Heroin oder Kokain unterstünden sie keiner internationalen Kontrolle, hätten aber ähnliche Wirkungen.
"Abfallprodukte der Pharmaindustrie"
Die verbotenen Produkte seien stärker denn je im Internet erhältlich, das Angebot habe sich in kürzester Zeit vervierfacht. "Inzwischen gibt es davon Tausende auf dem Markt, allein in Europa taucht fast jede Woche eine neue Droge auf", berichtete Sipp in Berlin.Der Fachmann des Internationalen Drogenkontrollrats, der früher im Bundesgesundheitsministerium gearbeitet hat, fordert von der Politik "effektive Vorbeugestrategien". Darunter versteht Sipp beispielsweise die bessere Lagerung, Verteilung und Kontrolle gefährlicher Substanzen, die für Kranke schmerzlindernd sein können, Gesunde aber drogenabhängig machen. Bessere öffentliche Aufklärung hält Sipp ebenso für nötig wie Schulungen für medizinisches Personal.
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans, prangerte die Designerdrogen als "Abfallprodukte der Pharmaindustrie" an. Den Herstellern und Händlern müsse das Handwerk gelegt werden, sagte die FDP-Politikerin.Die nötigen Gesetze dafür gebe es. "Es sollte aber überdacht werden, ob Konsumenten und Abhängigen das gleiche Strafmaß auferlegt werden muss", sagte Dyckmans. Drogenabhängigkeit sei eine Krankheit, weshalb das Prinzip "Therapie statt Strafe" Vorrang haben solle.
60.000 Tote in Mexikos Drogenkrieg
Zahlen zur Dimension des globalen Drogenmissbrauchs vermochte Werner Sipp vom Internationalen Drogenkontrollrat keine zu nennen. Konkreter wurde der deutsche Vertreter in dem Gremium der Vereinten Nationen (UN), als es um Anbau, Transportrouten und Konsum ging. "Nordamerika ist nach wie vor der größte illegale Drogenmarkt der Welt und hat die höchste Zahl von Drogentoten".
Nach UN-Schätzungen sind fünf von 100 Todesfällen in der Altersgruppe zwischen 15 und 64 Jahren auf Drogenkonsum zurückzuführen. Im US-Nachbarland Mexiko seien in der jüngeren Vergangenheit rund 60.000 Menschen im Drogenkrieg getötet worden, sagte Sipp.Die lange weitverbreitete Trennung zwischen Produzenten- und Konsumentenländern löst sich nach Beobachtungen des Internationalen Drogenkontrollrats zunehmend auf. Immer häufiger würden Händler nicht mit Geld, sondern mit Drogen bezahlt und somit selber abhängig, sagte Sipp und nannte als Beispiel die Dominikanische Republik. Schwerpunktland für den Opiumrohstoff Schlafmohn ist dem Jahresbericht des Drogenkontrollrates zufolge weiterhin Afghanistan. Dort habe der illegale Mohnanbau binnen Jahresfrist um 18 Prozent zugenommen. Gleichzeitig sei die Opiumproduktion um 36 Prozent geschrumpft, "wegen schlechten Wetters und Krankheitsbefall der Mohnpflanzen".
Immer verzweigter und unübersichtlicher werden die Routen. Soziale und politische Unruhen in Nord- und Westafrika hätten die Regierungen in ihrem Kampf gegen Drogen geschwächt, bedauerte Sipp die Entwicklung. Davon profitierten die Drogenhändler. Handelsrouten verliefen quer durch West- und Ostafrika in Richtung Ost- und Südostasien. "Andererseits wird Kokain aus Südamerika über Afrika nach Europa verbracht", ergänzte Sipp. Sein Fazit: Das Drogenproblem war noch nie so global wie heute.