Bolivien zeigt Berlin die kalte Schulter
13. Juni 2022"Die umweltgerechte Gewinnung des Schlüsselrohstoffs Lithiums und die faire Partnerschaft mit Bolivien sind Grundlage unseres Handelns", steht auf der Internetseite der Firma ACISA zu lesen. Im Dezember 2018 startete das Unternehmen aus Süddeutschland ein vielbeachtetes Joint-Venture mit dem südamerikanischen Land. Beide Seiten setzten damals große Hoffnungen in das Projekt, bei der Vertragsunterzeichnung weilten auf bolivianischer Seite die damaligen Energieminister Rafael Alarcon und Außenminister Diego Pary der Zeremonie bei, auf deutscher Seite der damalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und die baden-württembergische Wirtschafts-Ministerin für Wirtschaft Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut. Lithium wird nach jetzigem Stand der Technik für die Herstellung von Akkus für E-Autos benötigt und ist deshalb für die angestrebte Verkehrswende weg vom fossilen Verbrennermotor hin zur E-Mobilität von zentraler Bedeutung.
Knapp vier Jahre später ist von der Euphorie nur noch auf bolivianischer Seite etwas zu spüren. "Es beginnt die Lithium-Ära", jubelte das Portal "EJU" vor wenigen Tagen und beziffert die künftigen Einnahmen auf jährlich zwei Milliarden US Dollar. Produktionsvolumen von 40.000 Tonnen pro Jahr sind bis Ende 2024 im Gespräch. Was allerdings fehlt ist die deutsche Komponente des Projekts.
Sechs Firmen, keine aus Deutschland
Vor wenigen Tagen gab Bolivien nun bekannt, mit welchen sechs Unternehmen das Land die Verhandlungen so weit vorangebracht hat, dass diese in eine engere Auswahl genommen werden. Sie stammen aus den USA, Russland und China. Von einer deutschen Kooperation ist keine Rede mehr, auch wenn Energie-Minister Franklin Molina Ortiz beteuerte: "Es sind bislang nur Absichtserklärungen unterzeichnet worden, keine gültigen Verträge." Vom deutschen Joint-Venture redet in Bolivien dagegen kaum noch jemand.
Politischer Machtkampf im Hintergrund
Das deutsche Unternehmen hatte allerdings auch das Pech, dass die Zusammenarbeit früh von politischen Unruhen überschattet wurde. Wenige Monate nachdem das Joint-Venture unterzeichnet war, begannen in der Region um den Salzsee Uyuni mit seinen reichhaltigen Lithium-Vorkommen Proteste gegen das Vorhaben. Bolivien komme zu schlecht weg, zudem sei die deutsche Firma zu klein für die Größe des Projekts, hieß es damals. Als dann später Präsident Evo Morales im Rahmen von Protesten nach den umstrittenen Wahlen 2019 zurücktrat, später von einem Putschversuch sprach und internationale Interessen an den Lithium-Vorkommen, unter anderem aus Großbritannien, für den nach seiner Interpretation erfolgtem Staatsstreich verantwortlich machte, war die Entscheidung, mit wem Bolivien zusammenarbeiten würde, endgültig politisiert.
Präsident muss kluge Entscheidung treffen
Inzwischen gerät Morales Nachfolger und Parteifreund Luis Arce in die Kritik. Dessen Sohn, so berichten es bolivianische Medien, würde an einer Schlüsselposition mitentscheiden, wer den Zuschlag bekommt. "Gerüchte und wenig Transparenz", kommentierte das Portal "Erbol" die Gemengelage um die Lithium-Entscheidung. Für Staatspräsident Arce, der zunehmend auch von Morales unter Druck gesetzt wird, ist es von zentraler Bedeutung seiner Präsidentschaft, ob ihm strategisch kluge und für sein Land optimale Entscheidungen gelingen. "Wir brauchen Partner, keine Besitzer", hatte Morales vor Jahren die Messlatte für die Kooperationen mit ausländischen Partnern hochgelegt.
Rückschlag für Deutschland
Die eigens für das deutsch-bolivianische Joint-Venture gegründete Firma ACISA teilte am Montag auf Anfrage der DW mit, bei der Ausschreibung, bei der die sechs Konsortien in die engere Auswahl gekommen seien, handele es sich um ein Projekt für die Auswahl einer Technologie zur Direktextraktion von Lithium aus der Sole des Salzsees Uyuni. Diese Technologie soll nach der Entscheidung vom Staatsunternehmen YLB eingesetzt werden, da entsprechend den bolivianischen Gesetzen Rohstoffe aus Primärquellen (wie der Sole des Salar de Uyuni) nur vom Staat gewonnen werden dürfte.
Dieses Projekt sei komplett unabhängig vom ACISA-Projekt, also der Gewinnung von Lithium aus der Restsole. Während die Amerikaner, Russen und Chinesen aber offenbar zügiger vorankommen, müssen die Deutschen einräumen: "Zum Stand der Dinge bei unserem Projekt können wir derzeit nur sagen, dass sich die Verhandlungen aufgrund der Situation in Bolivien weiterhin sehr schwierig gestalten." Optimistisch ausgedrückt: Es herrscht Stillstand.
Der Artikel wurde am 15.06.2022 aktualisiert