"Der Deutsche ist schuld!"
26. August 2018"Das ist keiner von uns. Das ist einer von denen hier", ruft eine ältere Frau aufgeregt, zeigt auf eine Biografie Hitlers in ihrer Hand und meint den rumänischen Staatspräsidenten Klaus Iohannis. "Das ist kein richtiger Rumäne", pflichtet ihr ein Mann in Unterhemd und Gummi-Schlappen bei.
Knapp hundert zumeist ältere Menschen stehen am Samstag in Bukarest vor dem Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft, um gegen den liberal-konservativen Iohannis und für die sozial-demokratische Regierung zu demonstrieren.
Präsident Iohannis gehört der deutschen Minderheit an und ist seit 2014 im Amt. Über sechs Millionen Rumänen haben ihn zum Staatsoberhaupt gewählt - trotz einer Verleumdungskampagne im Wahlkampf.
Die Bilder der kleinen Demo mit braunem Zungenschlag werden immer und immer wieder in den regierungsnahen TV-Sendern gezeigt. Die Botschaft muss breit gestreut werden: Der Präsident ist ein "Fremder", der gegen die Interessen der Rumänen agiert.
Solidarität mit der Polizei
Geplant war die Aktion als Unterstützung für die rumänischen Gendarmen, die vor zwei Wochen eine Massendemonstration der Zivilgesellschaft brutal aufgelöst hatten. Über 100.000 Rumänen waren am 10. August auf dem Platz vor dem Regierungspalast für eine unabhängige Justiz und gegen die korrupte Regierung auf die Straße gegangen. Als gewaltbereite Hooligans sich unter die friedlichen Demonstranten gemischt und die Gendarmen angegriffen hatten, waren diese massiv mit Tränengas und Schlagstöcken gegen die Menschenmenge vorgegangen. Auch ältere Menschen, Frauen und Kinder wurden dabei verletzt. Journalisten wurden gezielt an ihrer Arbeit gehindert und von Gendarmen verprügelt. Über 700 Verletzte haben inzwischen Klage gegen die Gendarmerie eingereicht. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Deshalb auch die geplante Demonstration vor dem Sitz des Generalstaatsanwalts zum Zeichen der "Solidarität" mit den brutalen Gendarmen. Dass nur knapp hundert Menschen dem Aufruf gefolgt waren, spricht allerdings Bände.
Kampagne gegen Iohannis
Dass sich die Aktion vor allem gegen den Präsidenten richten würde, ist keine Überraschung. Iohannis hatte den Polizeieinsatz am 10. August gegen die friedlichen Demonstranten als unverhältnismäßige Einschränkung demokratischer Rechte verurteilt und dringend Ermittlungen gefordert. Zudem warf er der sozialdemokratisch geführten Regierung vor, sich irrational verhalten und gegen die Interessen der eigenen Bürger gehandelt zu haben.
Dass jetzt aber die Zugehörigkeit des Präsidenten zur deutschen Minderheit wieder verstärkt als Argument gegen ihn angeführt und in Zusammenhang mit Nazideutschland gebracht wird, ist offensichtlich ein Zeichen dafür, dass seine Gegner unruhig werden. Vor einigen Tagen gab der mächtige Chef der sozialdemokratischen Partei PSD, Liviu Dragnea, das Zeichen zum politischen Angriff, als er die Amtsenthebung des Präsidenten ins Spiel brachte. Iohannis habe die Massendemonstration zu verantworten, der Präsident agiere nicht im Interesse Rumäniens und sollte zudem wegen Hochverrats angeklagt werden.
Dragnea ist vorbestraft und darf nicht Regierungschef werden, lenkt aber als Präsident des Abgeordnetenhauses die Geschicke sowohl der Regierung als auch des Parlaments. In einem weiteren Verfahren wegen Amtsmissbrauchs in erster Instanz zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, wartet er auf das endgültige Urteil.
Von Zeit zu Zeit verbreitet er in gleichgeschalteten TV-Sendern abstruse Verschwörungstheorien. Die letzte Geschichte hat es in sich: Im April 2017 sollen vier dunkel gekleidete Männer im Auftrag eines reichen geheimnisvollen Fremden ein Attentat auf ihn geplant haben. Es habe eindeutige Zeichen dafür gegeben. Zudem habe ihn ein Freund darüber informiert. Er habe aber weder die Polizei noch die Geheimdienste oder die Staatsanwaltschaft einschalten wollen. Die Geschichte wurde in den Sozialen Medien zu einer gewaltigen Lachnummer.
Anspielung auf Nazi-Deutschland
Überhaupt nicht lustig sind die jüngsten Äußerungen anderer führender Sozialdemokraten. So behauptete der Vorsitzende des Bildungsausschusses im Senat, Liviu Pop, ehemaliger Unterrichtsminister, vor wenigen Tagen in einer TV-Sendung, Iohannis habe als Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (der neu gegründeten Organisation der deutschen Minderheit nach der Wende von 1989), quasi als "Fortsetzer der Nazi-Organisation” der deutschen Minderheit agiert. Daher sei es kein Wunder, dass er Entscheidungen treffe, die gegen das rumänische Volk gerichtet seien.
Gegen diese Aussage gab es eine erste Stellungnahme des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Bernd Fabritius. In einem Schreiben an den rumänischen Senatspräsidenten und an das Außenministerium in Bukarest erinnerte Fabritius an die eingegangene Verpflichtung des rumänischen Staates, seine nationalen Minderheiten vor jeglicher Verleumdung zu schützen. Die bedauerliche Diffamierungskampagne der letzten Monate gegen die deutsche Minderheit habe eine neue Qualität erreicht, schrieb der CSU-Politiker und fügte hinzu, die Angriffe durch einen markanten Politiker der PSD seien "inakzeptabel und entschieden zu verurteilen!"
Neue Verbalattacken
Auch die Spitzenvertreter der deutschen Minderheit in Rumänien protestierten entschieden gegen die Kapmpagne. Allerdings noch ohne Wirkung. Denn nur einen Tag später kam eine neue Verbalattacke, diesmal von der sozialdemokratischen Arbeitsministerin Lia Olguta Vasilescu, einer engen Vertrauten Dragneas. Weil Präsident Iohannis den massiven Einsatz von Tränengas gegen die Zivilbevölkerung verurteilt hatte, sagte sie in einer TV-Sendung: "Wer als ‘neamtz', als Deutscher, von Vergasung spricht, muss besonders mutig sein!” Die Anspielung an die Nazizeit war nicht zu überhören.
"Neamtzul", der Deutsche, ist schuld, riefen auch die paar Menschen am Samstagnachmittag während der Protestaktion gegen Iohannis. Dann machten sie sich auf den Weg zurück in ihre Wohnungen, um die Bilder von ihrer mutigen Aktion in "ihren", den regierungsfreundlichen TV-Sendern, das eine ums andere Mal zu bewundern. Inzwischen haben rumänische Künstler und Journalisten in den Sozialen Medien ihre klare Haltung zum Ausdruck gebracht, mit dem Hashtag #neamtztoo - Wir sind auch Deutsche.