Der Corona-Pass für mehr Freiheit in der EU?
28. April 2021Was macht die Europäische Union aus? Für den spanischen Abgeordneten Juan Fernando Lopez Aguilar ist es die Freizügigkeit, das Recht sich ohne Grenzkontrollen in der EU bewegen zu können.
Seit Beginn der Pandemie aber haben die Mitgliedsstaaten ihre Grenzen teilweise wieder dichtgemacht und die EU in einen Flickenteppich von Beschränkungen verwandelt, mit unterschiedlichsten Regeln zu Einreise und Quarantäne. Dies betrifft Millionen von Menschen, die vor der Pandemie regelmäßig Grenzen überquert haben - etwa um zu studieren, zu arbeiten oder ihre Familien zu besuchen.
Das soll nun wieder erleichtert werden. Die Europäische Kommission hat hierzu das "Digitale Grüne Zertifikat" vorgeschlagen, womit sich diese Woche auch das Europäische Parlament befasst. "Ohne Freizügigkeit gibt es keine EU", sagte Lopez-Aguilar im Plenum in Brüssel. Die Corona-Maßnahmen, die von den Mitgliedstaaten erlassen wurden, stünden oft im Widerspruch dazu, so der Abgeordnete weiter.
Reisedokument, aber bewusst kein Impfausweis
Während in Europa seit dem Start der Impfkampagne im Dezember darüber diskutiert wird, ob man Geimpften mehr Grundrechte zugestehen darf, legt das Digitale Grüne Zertifikat Wert darauf, keine allzu großen Unterschiede zu machen. Es soll nicht diskriminieren.
Deshalb soll es sowohl Corona-Geimpften als auch Genesenen und Menschen mit einem negativen Testergebnis zur Verfügung stehen. Es handelt sich gewissermaßen um einen Hybrid aus Impfausweis, ärztlichem Attest und Laborbescheinigung. Ein Code, der digital oder auf dem Papier an der Grenze vorgelegt werden kann und, wie der Name schon sagt, seinem Besitzer grünes Licht für die Einreise gibt.
Der zuständige EU-Kommissar Didier Reynders, der die Initiative mit ausgearbeitet hat, begründet die Notwendigkeit dieses Zertifikats mit der Gefahr einer weiteren Zersplitterung der EU. Sollten die Länder individuelle Regeln und Dokumente einführen, die nicht ohne weiteres überprüft werden können, laufe man Gefahr, dass Fälschungen in Umlauf geraten könnten und damit das Vertrauen der Bürger nachließe, so Reynders.
Tourismusindustrie hofft auf Reisewelle
Dieser Pass hat nicht nur Symbolkraft, sondern auch ganz praktische Hintergründe. Der zweite Corona-Sommer steht vor der Tür und viele EU Bürger sehnen sich danach, in den Urlaub fahren zu können. Der griechische Premier Kyriakos Mitsotakis hatte im Winter noch die Diskussion angestoßen. Sein Land zählt zu denen, die am härtesten von Reisebeschränkungen betroffen sind. Mehr als zwölf Prozent des griechischen Bruttoinlandsprodukts wurden 2018 von der Tourismusbranche generiert. Zypern, Italien und Spanien sind in ähnlichem Maß vom Tourismus abhängig.
Im Eilverfahren und pünktlich zu den Sommerferien im Juni will die EU mit der Einführung der Zertifikate beginnen. Die Positionen des Parlaments und der Mitgliedstaaten scheinen allerdings in Teilen weit auseinander zu liegen. So ist die Frage der Impfstoffe, die angewendet werden dürfen, um ein solches Zertifikat zu erlangen, nicht abschließend geklärt. Das Parlament besteht auf einer Zulassung durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA). Wohl im Hinblick auf Ungarn, welches auch die russischen und chinesischen Impfstoffe Sputnik V und Sinopharm verimpft, macht der Entwurf des Europäischen Rats eine EMA-Zertifizierung nicht explizit zu einer Voraussetzung.
Des Weiteren hat die EU nicht die Hoheit über die Grenzen ihrer Mitglieder. Es steht den Mitgliedstaaten frei, zusätzliche Bestimmungen - etwa über Tests oder Quarantänemaßnahmen einzuführen. Auch der niederländische Abgeordnete Jeroen Lenaers von der konservativen EVP-Fraktion sagte im Vorfeld der Debatte, dass die Mitgliedsstaaten die Möglichkeit haben werden, das Reisen einzuschränken, wenn die epidemiologische Situation es verlangen sollte. Allerdings sollten die Zertifikate dabei berücksichtigt werden, so Lenaers.
Kritik an Vorgehen: Diskriminierung und Sicherheit
Das Parlament spricht sich unter dem Strich mehrheitlich für die Zertifikate aus. Dennoch gibt es auch Kritik am Konzept. Insbesondere die Mitglieder der Grünen-Fraktion sorgen sich wegen einer möglichen Diskriminierung von Menschen, die bisher nicht geimpft werden konnten, weil sie noch nicht an der Reihe waren oder sich gegen eine Impfung entscheiden haben. Sie sprechen sich für Gratistests aus.
Diese gibt es in einigen Mitgliedsstaaten, etwa in Österreich, wo sich Bürger regelmäßig umsonst auf das Coronavirus testen lassen können. Ein krasses Gegenbeispiel gibt es am Flughafen in Helsinki. Dort kostet der schnelle PCR-Test satte 300 Euro. Sophie in 't Veld von der liberalen Renew-Fraktion bemängelte diesen Umstand, ihre Fraktion verlangt eine Deckelung der Kosten für Tests.
Ein weiteres Thema ist die Datensicherheit. Die Gesundheitszertifikate sollen persönliche Daten wie Name und Geburtsdatum enthalten, sowie im Fall einer Impfung den Impfstoff und wann dieser verabreicht wurde. Diese Information wird komprimiert, codiert und schließlich mit einer Signatur des verabreichenden Impfzentrums oder Krankenhauses versehen.
Laut Kommission ist das Konzept betrugssicher; Bewegungen sollen nicht nachverfolgt verfolgt werden können. Zentral werden nur die digitalen Schlüssel gespeichert, die für die Authentifizierung etwa in einer Kontroll-App notwendig sind. Allerdings liegt es hier am Ende auch im Ermessen der Mitgliedsstaaten, was mit den Gesundheitsdaten ihrer Bürger passiert.
Wissenschaftliche Erkenntnisse nicht ausreichend
Kritiker finden, die wissenschaftliche Faktenlage sei noch zu dünn, um ein solches Projekt umzusetzen. Welche Sicherheit bei Genesenen und frisch Geimpften tatsächlich vorliegt, sei noch nicht genügend erforscht. Peter Liese, Arzt und gesundheitspolitischer Sprecher der EVP, sagte im Parlament, der Vorschlag müsste an manchen Stellen nachgebessert werden.
So sollten Schnelltests ausgenommen sein, da sie zu häufig falsche Ergebnisse produzierten. Unter dem Strich sprach aber auch er sich für das Zertifikat und die damit verbundenen Möglichkeiten aus: "Insbesondere der zweite Teil des Sommers 2021 kann sehr viel angenehmer werden als der Sommer 2020, ohne dass aus der Reisewelle wie im letzten Jahr eine neue Infektionswelle entsteht."