Der Clown im Crack-Land von São Paulo
Der Psychiater Flávio Falcone hilft Obdachlosen und Drogensüchtigen. In "Cracolândia", einem Problemviertel der brasilianischen Megacity São Paulo, tritt er als Clown auf, um den Menschen dort Lebenshilfe zu geben.
Drogenhölle unter freiem Himmel
Nur ein paar Blocks nördlich der Kreuzung Ipiranga/São João im historischen Zentrum São Paulos liegt Cracolândia, Crack-Land. Erstmals tauchte die chemische Droge 1990 in der größten Stadt Südamerikas auf. Seither ist die Zahl der Süchtigen stetig gestiegen. Allein in Cracolândia wurden 2019 rund 57.000 Abhängige gegen ihre Sucht behandelt - und sie sind nur ein Bruchteil des Problems.
Kaufen, rauchen, wohnen
Wer nach Cracolândia kommt, kann nicht übersehen, warum die Gegend so genannt wird: Auf offener Straße verkaufen es die Dealer von Tischen für weniger als einen Euro pro Dosis. Es ist wie auf einem Wochenmarkt, nur dass er jeden Tag stattfindet. Viele Süchtige hausen auf Verkehrsinseln oder Grünstreifen. Wer von dem Strom nicht mitgerissen werden will, bleibt ihm besser fern.
Dach, Arbeit und Behandlung
Der Psychiater Flávio Falcone ist einer der Mutigen, die sich nach Cracolândia trauen, ohne selbst süchtig zu sein. Mit seinem Programm "Teto, Trampo, Tratamento" (Dach, Arbeit, Behandlung) macht er den Abhängigen ein Hilfsangebot, damit sie in ein geregeltes Leben zurückfinden. Doch viele verweigern ärztliche Hilfe.
Der Clown holt die Menschen ab
Deshalb hat Falcone im Jahr 2012 begonnen, sich in einen Clown zu verwandeln, bevor er zur Arbeit auf der Straße geht: "Als Arzt bin ich der Besitzer des Wissens, aufgrund dessen die Menschen zu mir kommen", sagt er. "Als Clown ist das ganz anders." Dann sei er für die Menschen nahbar, dann könne er die Menschen abholen.
Ein Augenblick der Leichtigkeit
Im Duo mit der Schauspielerin Andrea Macera geht er auf die Menschen zu, bringt sie zum Lachen, schenkt ihnen einen Augenblick der Leichtigkeit und Sorglosigkeit. Auch Menschen, die wie der junge Mann in der Mitte dieses Fotos in das Übel hineingeboren wurden und nicht ihrer Sucht wegen hergekommen sind. Doch das Lachen ist nur ein Zweck der Übung.
Professionelle Beziehungen aufbauen
Mehr noch, sagt Falcone, gehe es darum, den Abhängigen auf Augenhöhe zu begegnen, ihr Vertrauen zu gewinnen, um vom Hintergrund ihrer Probleme zu erfahren, den sie ihm als Arzt nicht anvertrauen würden. Nur dann, sagt der Psychiater, könne er entscheiden, was im Einzelfall zu tun ist.
Ewige Dankbarkeit
Einer von denen, die sich dem Clown, auf Portugiesisch "Palhaço", geöffnet haben, ist Jailson Antônio de Oliveira: "Dank Flávio Falcone habe ich heute ein besseres Leben", sagt er. Seine Sucht hat er überwunden und kann nun ein Zimmer für sich und seine Freundin mieten. Als Zeichen der ewigen Dankbarkeit hat er sich "Palhaço" auf das Handgelenk tätowieren lassen.
Corona macht obdachlos
In der Corona-Krise, vor allem seit die brasilianische Regierung Ende 2020 die Soforthilfen für die Ärmsten gestoppt hat, ist die Zahl der Obdachlosen im ganzen Land gestiegen - auch in Cracolândia. Hier leben nun auch Menschen in Plastikzelten, die keine Opfer der Drogen sind, sondern Opfer der Krise.
Die Fehler im System zur Schau stellen
Die tragikomische Figur hat Falcone auch gewählt, weil ihr charakteristisches Ungeschick die Realität vieler in Cracolândia widerspiegle: "Der Clown steht für die Offenlegung der Fehler, der Verletzlichkeit dessen, was im Schatten existiert", sagt er. Damit meint er vor allem die Fehler in einem System, das Menschen zu schlechten Entscheidungen verleitet und dann mit den Konsequenzen allein lässt.