Der BVB ist zu schnell für die Bayern
10. November 2018Es war eine mutige Aktion des Fans, der seine Freude einfach nicht mehr verbergen konnte. Auf der gigantischen Ostkurve im Dortmunder Stadion waren genau zwei Arme zu sehen, die steil in die Luft gereckt waren - in den Händen ein Fan-Schal des FC Bayern. Nette Worte hatte der Mann für diesen Alleingang nicht zu erwarten, um ihn herum saßen ausschließlich Fans von Borussia Dortmund, die mit ihrer Meinung dann auch nicht hinter dem Berg hielten. Am Ende, nach dem3:2 für den BVB, durfte sich der Bayern-Fan der ungefilterten Häme seiner vielen Nachbarn sicher sein.
Der Bayern-Anhänger hatte das zwischenzeitliche 2:1 der Münchner durch Robert Lewandowski (53. Minute) gefeiert. Ein Treffer, der für einen spontanen Stimmungsumschwung in einer verrückten Partie hätte sorgen können. Gefühlt nur Sekunden zuvor hatte Marco Reus den Ausgleich per Elfmeter erzielt (49.) und erstmals Hoffnung beim BVB-Anhang entfacht, nachdem das Team bis dahin unterlegen war. Die Münchner sahen bis dahin lange Zeit wie der potenzielle Sieger aus, Lewandowski Führungstreffer (26.) schien nur der Anfang gewesen zu sein.
BVB besinnt sich auf seine Stärken
Doch es war die größte Stärke dieser BVB-Mannschaft, dass sie sich an diesem Abend nicht zurückwerfen ließ. Die Dortmunder konnten die Partie drehen, weil sie sich ihrer großen Fähigkeiten sicher waren. "Der BVB hat im eigenen Stadion gekontert. Das ist ihre große Stärke, und wir haben das zugelassen", räumte Bayern-Torhüter Manuel Neuer nach dem Spiel ein.
Für die Münchner war das, was die Dortmunder in der zweiten Hälfte auf den Platz zauberten, in erster Linie eines: viel zu schnell. Vor allem Mats Hummels wirkte in mehreren Aktionen gegen die flinken BVB-Spieler wie ein "Altherrenfußballer". Der Münchner Innenverteidiger hatte - wie auch die meisten seiner Mitspieler - deutliche Geschwindigkeitsnachteile gegenüber den Dortmunder Sprintern um Marco Reus ("Es macht einfach Spaß auf dem Platz zu stehen"), Jadon Sancho, Jacob Bruun Larsen oder Achraf Hakimi, die ihren Gegenspielern im zweiten Durchgang die sprichwörtlichen Hacken zeigten. "Ich habe eine starke Erkältung und konnte nicht so schnell denken", sagte Hummels nach der Partie. Ein Anflug von Verlegenheit war dem Weltmeister von 2014 durchaus anzumerken.
Statisches Aufbauspiel
Neben den Geschwindigkeitsdefiziten begingen die Münchner auch einen kapitalen Fehler: Sie suchten im Aufbauspiel immer wieder spielerische Lösungen. "Die Dortmunder haben dann mehr Druck gemacht. Da haben wir sie geradezu zum Angriffs-Pressing eingeladen. In so einem Stadion muss man auch mal die Bälle hinten rausschlagen", sagte Bayern-Trainer Niko Kovac.
Er und sein Team hatten im zweiten Durchgang schlicht die falschen Mittel gewählt und brachten sich so selbst Bedrängnis. Eine rustikale Spielweise wäre an diesem Abend vermutlich die bessere Herangehensweise gewesen. Für Kovac dürften nun noch schwerere Zeiten in München anbrechen, zumal der BVB durch den Sieg im direkten Duell nach nur elf Spieltagen bereits sieben Zähler Vorsprung auf den Rekordmeister hat.
"Ach, das ist mir egal", sagte Marco Reus dennoch über den Vorsprung, den sich die Westfalen redlich verdient haben. Der BVB-Kapitän war zuvor abermals ein entscheidender Faktor im Dortmunder Spiel, weil er seine Mannschaft trotz der Rückschläge immer wieder antrieb und seine starke Leistung mit einem zweiten Treffer zum zwischenzeitlichen 2:2 krönte.
Favre drückt auf die Euphoriebremse
Entsprechend zufrieden war auch Lucien Favre. "Es war ein verrücktes Spiel. Es ist kein unverdienter Sieg", sagte der BVB-Coach, der die Münchner "noch nie so stark gesehen" hatte, "wie in den ersten 30 Minuten. Ich war froh, dass wir nur mit 0:1 zurücklagen. Aber ich wusste, dass sie das nicht durchhalten können." Paco Alcacer krönte den Dortmunder Abend schließlich mit seinem Treffer zum 3:2 (73.).
Die Dortmunder haben mit diesem Erfolg ein deutliches Zeichen an die Münchener gesandt: Bei dieser Fülle an Talent und Geschwindigkeit, die der BVB in seinen Reihen hält und auf dem Platz zeigt, werden die Bayern es schwer haben, den Konkurrenten von der Tabellenspitze zu verdrängen. Trainer Lucien Favre versucht derweil, die Euphorie zu bremsen. "Wir sind sehr zufrieden, 27 Punkte zu haben. Aber es gibt noch viel zu tun. Es ist sehr schwer, in der Bundesliga zu spielen, man weiß nie, was man beim Spiel herausbekommt", sagte der Schweizer Fußballlehrer. Die Besonderheit dieses Dortmunder Abends unterstrich er dann aber doch zum Abschluss - bewusst oder unbewusst: Der zufriedene Trainer kündigte an, sich selbst zur Feier des Tages ein Glas edlen Rotwein zu genehmigen.