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Der Bundestag als Wahlkampf-Arena

7. September 2021

Bundeskanzlerin Angela Merkel hält ihre vermutlich letzte Rede im Parlament und empfiehlt CDU-Kandidat Armin Laschet als ihren Nachfolger. Ob das hilft?

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Deutschland Bundestag Angela Merkel
Bundeskanzlerin Angela Merkel verabschiedet sich mit ihrer vermutlich letzten Rede aus dem Bundestag Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

"Auf Wiedersehen" sagt sie zwar nicht, aber trotzdem ist es ein Abschied. Denn wenn nichts Unvorhergesehenes passiert, spricht Angela Merkel im Parlament ein letztes Mal als Bundeskanzlerin. Sie tut es als Regierungschefin – und Wahlkämpferin. Die Bundestagswahl am 26. September sei in "schwierigsten Zeiten eine Richtungsentscheidung für unser Land". Und es sei nicht egal, wer dieses Land regiert.

"Schämen Sie sich!", schallt es Angela Merkel entgegen

Die Bürgerinnen und Bürger hätten die Wahl: entweder eine Regierung, die mit SPD und Grünen die Unterstützung der Linkspartei in Kauf nehme, sie zumindest nicht ausschließe oder eine Bundesregierung, "die mit Maß und Mitte unser Land in die Zukunft führt". Als ihren Nachfolger preist Merkel ihren Parteifreund Armin Laschet an. Die Anspielung auf eine nach aktuellen Umfragen rechnerisch mögliche rot-rot-grüne Koalition kommentieren Abgeordnete der Linken mit spöttischen Zwischenrufen. "Ich sag' ja nur die Wahrheit!", erwidert die Kanzlerin.

Infografik - DT2109 Sonntagsfrage - DE

"Schämen Sie sich!", hallt es Angela Merkel aus den Reihen der Linken entgegen. "Meine Güte, was für eine Aufregung!", kontert die 67-Jährige. Seit über 30 Jahren sei sie Mitglied des Bundestages. Sie wisse nicht, wo, wenn nicht hier, solche Fragen diskutiert werden müssten. "Das ist die Herzkammer der Demokratie und hier wird genau das diskutiert!" Selten war Merkel im Parlament so emotional zu erleben.

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz dankt "Frau Dr. Merkel"

Aber es gibt ja auch einiges zu verlieren: Die Unionsparteien CDU und CSU stehen nach Umfragen in der Wählergunst mit 20 Prozent so schlecht wie noch nie da. Nach 16 Jahren mit Angela Merkel als Bundeskanzlerin könnten die Konservativen in der Opposition landen. Also noch einmal das Wort von der "Richtungsentscheidung", bei der es nicht allein um die Außenpolitik gehe, die NATO und Europa, sondern auch um handfeste wirtschafts- und steuerpolitische Entscheidungen, "die die Zukunft dieses Landes entscheiden werden".       

Olaf Scholz
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz lobt den Zusammenhalt des Landes in der Corona-Pandemie Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Olaf Scholz, Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten (SPD), spricht anfangs über die Corona-Pandemie: Regierung, Abgeordnete, Bürgerinnen und Bürger hätten mit der größten Herausforderung des wiedervereinigten Landes zu tun gehabt.

"Wir haben zusammengehalten als ganzes Land, aber – das will ich ausdrücklich dazu sagen – wir haben zusammengehalten als Regierung." Und deshalb wolle er am Ende dieser Legislaturperiode sagen: "Schönen Dank für die Zusammenarbeit auch an Sie, Frau Dr. Merkel!"

Letzte Gemeinsamkeit: der Kampf gegen Corona

Und so sehr diese Debatte schon in den ersten Minuten von scharfer Wahlkampf-Rhetorik geprägt ist – beim Thema Corona ziehen Merkel und Scholz noch an einem Strang. Beide werben angesichts wieder steigenden Infektionszahlen dafür, sich gegen das Virus impfen zu lassen: "Impfen bringt uns die Freiheit zurück", sagt die Bundeskanzlerin.

"Lasst Euch impfen!", appelliert anschließend ihr möglicher Nachfolger Scholz an die vielen Unentschlossenen. Virologen halten eine Impfquote von mindestens 85 Prozent für nötig, um die Pandemie auf Dauer erfolgreich eindämmen zu können. Aktuell sind 61,5 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft.

Infografik Deutschlandtrend Corona-Impfbereitschaft

Abgesehen vom Kampf gegen Corona gibt es nach vier gemeinsamen Jahren allerdings keinen Zusammenhalt mehr zwischen Schwarz und Rot. "Eine weitere von der CDU/CSU geführte Bundesregierung würde Deutschland Wohlstand und Arbeitsplätze kosten", ruft Olaf Scholz in den Plenarsaal und löst damit in seinen Reihen begeisterten Beifall aus.

Scholz optimistisch im Kanzler-Rennen

Auf die von Angela Merkel für möglich gehaltene Zusammenarbeit mit der Linkspartei geht der SPD-Kanzlerkandidat nur indirekt ein, indem er sich erneut zum nordatlantischen Verteidigungsbündnis (NATO) bekennt. Die Linke hingegen strebt dessen Auflösung und eine Sicherheitspartnerschaft unter Einbeziehung Russlands an.

Am Ende seiner Rede gibt sich Scholz zuversichtlich, Merkels Nachfolger werden zu können und wendet sich direkt an die Wählerinnen und Wähler: "Sie entscheiden, wie es weitergeht mit unserer Gesellschaft. Ob Respekt sie bewegt, ob wir eine gute Zukunft haben, ob wir ein starkes und souveränes Europa haben."

Ein Aufbruch sei möglich, er hoffe und sei sicher, er werde gelingen. So wie Angela Merkel zum Auftakt der Debatte darf sich auch der Bundesfinanzminister und amtierende Vize-Kanzler am Ende über Standing Ovations von den Abgeordneten seiner Partei freuen.

Annalena Baerbock: "…liebe Zuschauerinnen und Zuschauer"

Auch Annalena Baerbock will Bundeskanzlerin werden und begrüßt nicht nur ihre Kolleginnen und Kollegen im Plenarsaal, sondern auch die "Zuschauerinnen und Zuschauer". Auf den Tribünen sitzen, auch wegen Corona-Beschränkungen, nur wenige Besucher. Aber die Generaldebatte in Form einer Wahlkampf-Veranstaltung ist auch im Livestream des Bundestages zu sehen und wird vom TV-Sender "phoenix" übertragen.

Annalena Baerbock
Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock kritisiert die Klimaschutzpolitik der schwarz-roten KoalitionBild: Markus Schreiber/AP/picture alliance

Dass die Bundestagswahl eine "Richtungswahl" sei, betont auch die Kanzlerkandidatin der Grünen. Warum? "Weil sich entscheidet, ob die nächste Bundesregierung noch aktiv Einfluss auf die Klima-Krise nehmen kann oder nicht." Der schwarz-roten Koalition hält sie vor, zu wenig für die Umwelt getan zu haben. Konkret kritisiert sie den ihrer Meinung nach viel zu späten Ausstieg aus der Kohle-Förderung im Jahr 2038.

Armin Laschet darf im Bundestag reden, weil er Ministerpräsident ist

Direkt nach Annalena Baerbock tritt CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet ans Rednerpult. Der ist zwar kein Bundestagsabgeordneter, darf aber als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen an Sitzungen des Bundestages teilnehmen. Für die Vertreter der 16 deutschen Bundesländer gibt es im Plenarsaal reservierte Plätze.

Sie befinden sich aus Sicht der Abgeordneten rechts neben dem Parlamentspräsidium. Auf der linken Seite ist die Regierungsbank, auf der Angela Merkel seit ihrer ersten Wahl zur deutschen Regierungschefin 2005 immer wieder Platz genommen hat. An diesem Tag wahrscheinlich das letzte Mal.       

Und noch eine Warnung vor Rot-Rot-Grün

Aus dieser Perspektive, im Rücken der Bundesadler, erlebt die scheidende Kanzlerin ihren Wunschnachfolger. Armin Laschet bezeichnet die zu Ende gehende Ära Merkel als "16 gute Jahre für Deutschland".

Als Beleg dafür verweist er unter anderem auf die Zahl der Arbeitslosen: 2,6 Millionen aktuell, fünf Millionen 2005. Damals endete die erste und bislang einzige rot-grüne Bundesregierung, die 1998 unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) gebildet worden war.

Angela Merkel und Armin Laschet
Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßt ihren Wunschnachfolger Armin Laschet Corona-konform Bild: John Macdougall/AFP/Getty Images

Armin Laschet redet 35 Minuten – es ist die mit Abstand längste Rede in dieser dreistündigen Debatte über die "Situation in Deutschland". Abschließend kritisiert er, wie schon zu Beginn Angela Merkel, dass SPD und Grüne eine Koalition mit der Linkspartei nicht ausschließen.

Es sei nicht so schwer, "nein" zu sagen. "Wir werden mit ihnen nicht koalieren", sagt der Kanzlerkandidat von CDU/CSU und löst damit hämischen Beifall und Lacher in den Reihen der Linken aus. Man werde alles dafür tun, "dass es nicht zu einem rot-rot-grünen Bündnis in Deutschland kommt".

Nebenrollen für FDP und AfD

Abgesehen von den Grünen bleiben für die Oppositionsparteien an diesem Tag nur Nebenrollen. Denn die Alternative für Deutschland (AfD), Freie Demokraten (FDP) und die Linke haben keine Aussicht, in der ersten Regierung nach Angela Merkel den Bundeskanzler stellen zu können.

Aber mit Ausnahme der AfD dürfen sich alle mehr oder weniger große Hoffnungen machen, der künftigen Koalition anzugehören. Dafür haben sie auch im Bundestag Wahlkampf gemacht. Weiter geht es bis zum 26. September auf Straßen und Plätzen sowie im Fernsehen. Dort findet am Sonntag das nächste Triell statt. In den Hauptrollen: Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland