Das Ende der Globalisierung
2. Oktober 2013Seit der Finanzkrise flutet die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) die Märkte mit Geld – in der Hoffnung, die Wirtschaft zu stimulieren. Als Fed-Chef Ben Bernanke vor kurzem erstmals andeutete, die Politik des billigen Geldes könnte bald ein Ende haben, reagierten die Finanzmärkte panisch. Mitte September ruderte Bernanke zurück und verschob den angekündigten Kurswechsel.
"Die Fed ist doch der einzige Erwachsene in einem Raum voller Kinder", sagt Barry Eichengreen, Wirtschaftsprofessor an der University of California in Berkeley. "Und wenn alle Kinder nach mehr Süßigkeiten schreien, weil das im Moment ihre einzige Nahrung ist, dann wird die Fed kaum sagen können: Nein Kinder, es gibt jetzt keine Bonbons mehr."
Keine Bonbons für die Kinder
Die unklare Geldpolitik hat für Entwicklungs- und Schwellenländer unangenehme Konsequenzen. "Vor einigen Jahren mussten wir uns sehr anstrengen, damit wir nicht von den Geldmassen überflutet werden, die in die Türkei zu kommen drohten", sagt der türkische Finanzminister Mehmet Simsek. "Heute dagegen laufen wir Gefahr, kein Kapital mehr zu erhalten." Denn weil Investoren nun das Ende des billigen Geldes fürchten, hätten sie begonnen, ihr Geld aus der Türkei, Brasilien und anderen Schwellenländern abzuziehen.
"Entwicklungs- und Schwellenländer sagen der Fed völlig zu Recht: 'Ihr seid nicht nur für die US-Wirtschaft verantwortlich, ihr müsst auch unsere Interessen berücksichtigen'", sagt Yu Yongding, Ökonom an der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften und früher Berater der Notenbank in Peking.
Aufstand der Geldgeber
Allerdings, so Yu und auch Simsek, finden ihre Klagen kein offenes Ohr. Dabei haben die Schwellenländer ein gewaltiges Druckmittel. "Wir sind die, die den Industriestaaten heute Geld leihen", so Andrew Sheng von Fung Global, einem Wirtschaftsforschungsinstitut in Hong Kong. "Wir müssen jetzt entscheiden, was zu tun ist."
Doch was könnte das sein? Weniger Geld für westliche Staatsschulden, vielleicht Kapitalverkehrskontrollen? "Es wäre der Anfang vom Ende der Globalisierung", so Sheng. "Denn wenn Globalisierung heißt, dass nur wenige von den globalen Gewinnen profitieren, während der Rest auf lokaler Ebene leidet, dann wird sie auf Ablehnung stoßen."
Die nächste Blase
Sheng vermisst klare Angaben über den geldpolitischen Kurs der Fed, auf die sich die Finanzmärkte und andere Länder einstellen können. Auch William Rhodes, bis 2010 Vize-Präsident der Citigroup und heute Berater der Bank, weist auf die Gefahren eines Schlingerkurses hin. "Wenn der Abschied vom billigen Geld nicht richtig umgesetzt wird, dann steht uns etwas bevor, das vielleicht noch schlimmer ist als die Krise, die wir gerade durchgemacht haben."
Schließlich sei auch die geplatzte Internet-Blase zu Beginn des Jahrhunderts mit billigem Geld bekämpft worden, so Rhodes. Das Ergebnis war eine neue Blase im Immobiliensektor, deren Platzen zur weltweiten Finanzkrise führte.
Kartenspielen auf der Titanic
Allerdings wird es in absehbarer Zeit kaum Klarheit über die Geldpolitik der Fed geben, ganz im Gegenteil. Wenn sich der zerstrittene US-Kongress nicht bald einigt, sind die USA am 17. Oktober zahlungsunfähig. An diesem Tag erreicht das Land die zulässige Obergrenze seiner Schulden. Um die anzuheben, müssten die Republikaner zustimmen – jene Republikaner, die im Haushaltsstreit schon den "government shutdown", die Einstellung der meisten Regierungsgeschäfte, erzwungen haben.
"Am 17. Oktober könnte die Welt untergehen. Und wir sitzen hier und spielen Karten auf der Titanic", sagt Jacob Frenkel, Präsident von JPMorgan Europa und früher Gouverneur der Notenbank Israels. "Muss dann der Macho-Superman Bernanke wieder kommen und sagen: Das lasse ich nicht zu?"
Wenn die Fed dann noch mehr Geld in die Märkte pumpe, um die Krise abzuwenden, sei das ein Patentrezept für die nächste große Blase, so Frenkel. Im übrigen sei das Wort Krise gar nicht mehr passend. "Wenn etwas immer wieder passiert, dann ist das die Definition von Normalität."