Der 1. Mai und die Nationalsozialisten
30. April 2013Im April 1933 herrschte in ganz Deutschland geschäftige Betriebsamkeit. Kinder und Erwachsene studierten Lieder ein, Häuser und Straßen wurden festlich geschmückt - vor allem mit Hakenkreuzfahnen. Den 1. Mai 1933 hatte Propagandaminister Joseph Goebbels zu einem "einzigartigen Massenereignis" erkoren. Der traditionelle Tag der Arbeit sollte dem Ziel der Nationalsozialisten dienen, die deutsche Arbeiterschaft für sich zu gewinnen. Die Vereinnahmung der Arbeiter war ein wichtiger Schritt für den mittlerweile mit diktatorischen Vollmachten ausgestatteten Reichskanzler Adolf Hitler. Bislang war ein Großteil der Arbeiterschaft Anhänger der Sozialdemokraten oder Kommunisten.
Ein bezahlter Feiertag
Bereits seit dem späten 19. Jahrhundert feierte die internationale Arbeiterbewegung den 1. Mai als "Tag der Arbeit". Ein staatlicher Feiertag war der erste Tag des Monats Mai bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland aber keineswegs. Wer an diesem Tag zu den Umzügen und Feiern ging, musste einen Tag Urlaub nehmen. Oder gar auf seinen Tageslohn verzichten. Mit dem Beginn der nationalsozialistischen Diktatur änderte sich dies. Schon am 7. April 1933 erklärte das Kabinett Hitler den 1. Mai zum "Feiertag der nationalen Arbeit". Damit war ein neuer staatlicher - und damit arbeitsfreier - Feiertag geschaffen. Und noch ein "Geschenk" machte Hitler den Arbeitern: Sie erhielten trotzdem den vollen Lohn.
Am 1. Mai bot die NSDAP ein gigantisches Spektakel auf, um die Menschen zu beeindrucken: Es gab riesige Umzüge, an deren Spitze die Organisationen der NSDAP marschierten: die Hitlerjugend, die Schutzstaffel SS sowie die Sturmabteilung SA. An dem Widerspruch, dass die SA in den Wochen zuvor auch viele Arbeiterführer mit Terror und Gewalt verfolgte, mochten sich die Verantwortlichen nicht stören. In Berlin fand die zentrale Kundgebung statt, auf der Adolf Hitler persönlich sprach. Per Radio wurde die Rede auch in den letzten Winkel Deutschlands übertragen. Paraden, Musik, Darbietungen von Kunstfliegern und zum Schluss ein gewaltiges Feuerwerk: Die Nazis boten den Hunderttausenden von Berlinern ein wahres Massenspektakel. Joseph Goebbels war überaus zufrieden: "Überwältigend. Ganz unfassbar noch in seinen Ausmaßen."
Der wahre Plan
Kaum jemand ahnte, dass Hitler mit den Feierlichkeiten zum 1. Mai einen ganz anderen Plan verfolgte. Dazu hatte Goebbels in seinem Tagebuch vermerkt: "Am 1. Mai wird es ganz groß. Am 2. Mai werden wir dann die Gewerkschaftshäuser besetzen." Gemeint waren die Häuser der freien Gewerkschaften, in denen sich die Arbeiter organisierten. Ihre Unabhängigkeit vom Staat war den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge, sie wollten die alleinige Vertretungsmacht über die Arbeiter besitzen. Denn, so das Kalkül, eine organisierte Arbeiterschaft hätte durch Massenstreiks den Nazis Widerstand bei der Errichtung ihrer Diktatur leisten können.
Diese Gefahr war allerdings gering: Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund, der ADGB als Dachorganisation der freien Gewerkschaften, hatte sich im Februar 1933 für politisch neutral erklärt - obwohl gleichzeitig die SA auf offener Straße Kommunisten und andere Regimegegner aus dem Arbeitermilieu verfolgte. Bei den Feiern zum 1. Mai beteiligte sich der ADGB sogar. "Der deutsche Arbeiter soll am 1. Mai standesbewußt demonstrieren und ein vollberechtigtes Mitglied der deutschen Volksgemeinschaft werden", forderte der Bundesvorstand des ADGB alle Arbeiter auf.
Goebbels konnte sich seines Sieges also ziemlich sicher sein: "Ein paar Tage Krach, dann gehören sie uns." Bestens organisiert schlug die SA am 2. Mai los. Fast widerstandslos besetzten ihre Trupps Gewerkschaftsbüros, Arbeiterbanken und Redaktionen von Gewerkschaftsblättern. Viele leitende Funktionäre wurden in Gefängnisse und Konzentrationslager gebracht, die Konten und Gelder beschlagnahmt. Die Arbeiter nahmen die "Zerschlagung" ihrer Vertretungen hin - fast nirgendwo kam es zu Widerstand. Befriedigt schrieb Goebbels in sein Tagebuch: "Das geht wie am Schnürchen."
Die Deutsche Arbeitsfront
Die Nationalsozialisten setzten den freien Gewerkschaften ihre eigene Organisationsstruktur entgegen: Am 10. Mai 1933 gründeten sie die Deutsche Arbeitsfront, DAF. Sie sollte von nun an die Interessen der Arbeiter vertreten. Vorrangiges Ziel der DAF war es, die Arbeiter zu kontrollieren und im nationalsozialistischen Sinn erziehen. Auch die Arbeitgeber waren zur Mitgliedschaft in der DAF angehalten. Somit waren nun Arbeiter und Arbeitgeber in einer einzigen, von den Nationalsozialisten kontrollierten Organisation vereint. Die Mitgliedschaft war "freiwillig, aber erwünscht". 1942 hatte die DAF 25 Millionen Mitglieder und war damit die größte Organisation im sogenannten Dritten Reich. Bereits der nächste Mai-Feiertag wurde schon nicht mehr als Tag der Arbeit gefeiert. Er war nun der Nationale Feiertag des deutschen Volkes. Das Wort Arbeit entfiel stillschweigend. Sein Ziel hatte Hitler ohnehin erreicht: Mit den freien Gewerkschaften war seit dem 2. Mai 1933 eine weitere Institution ausgeschaltet worden, die den Nationalsozialisten hätte gefährlich werden können.