Demonstration in Minsk gegen Lukaschenko
10. Oktober 2015Zwar wurde die Kundgebung in der weißrussischen Hauptstadt von vielen Sicherheitskräften in Zivil begleitet, die ließen die Teilnehmer aber gewähren. Angeführt von dem ehemaligen politischen Gefangenen und Ex-Präsidentschaftskandidat Nikolai Statkewitsch zogen die Demonstranten durch das Minsker Zentrum und forderten den Rücktritt von Präsident Alexander Lukaschenko. Unter den Protestierenden waren viele Jugendliche. Sie verlangten mehr Freiheiten in dem autoritären Land, einige schwenkten Europa-Fahnen.
Außerdem drohten die Demonstranten mit einem "Maidan", also mit Dauerdemonstrationen, wie sie 2014 in der benachbarten Ukraine zum Sturz des Präsidenten Viktor Janukowitsch geführt hatten. 2010 hatte Lukaschenko, der sich an diesem Sonntag für eine fünfte Amtszeit wiederwählen lassen will, Proteste gegen seine Wiederwahl blutig niederschlagen lassen.
Kritik an vorzeitiger Stimmabgabe
Rund sieben Millionen Menschen sind in Weißrussland, das auch Belarus genannt wird, zur Stimmabgabe aufgerufen. Es bestehen keine Zweifel, dass der Staatschef, der das Land seit 21 Jahren autoritär regiert, im Amt bestätigt wird. Die Opposition im Land wird unterdrückt, den drei zugelassenen Gegenkandidaten werden keine Chancen eingeräumt. Prognosen werden für Sonntagabend, amtliche Ergebnisse für Montag erwartet.
Wahlbeobachtern bereitet Sorgen, dass nach Behördenangaben zwischen Dienstag und Samstag schon etwa 30 Prozent der Wähler ihre Stimmen abgegeben hätten. Diese vorzeitige Wahl gilt als anfällig für Manipulationen. Auf Angestellte von Staatsbetrieben, Studenten oder Krankenhauspatienten werde Druck ausgeübt, schon vor dem Wahltag abzustimmen.
Auch Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kritisierten Sicherheitslücken bei der vorzeitigen Stimmabgabe.
Bewegt sich Lukaschenko?
Bei der von Massenprotesten und Festnahmen überschatteten Abstimmung 2010 hatte die Wahlaufsicht Lukaschenko rund 80 Prozent der Stimmen zugesprochen. Seit 1994 regiert der 61-Jährige sein Land mit äußerster Härte, Beobachter sehen in ihm "Europas letzten Diktator". Die EU und die USA haben deshalb Sanktionen gegen Weißrussland verhängt. Eine Wirtschaftskrise macht dem engen Partner der Rohstoffmacht Russland zu schaffen.
Vor dem Urnengang hatte der weißrussische Staatschef sechs inhaftierte Oppositionspolitiker frei gelassen, darunter einen einstigen Gegenkandidaten. Sie galten als letzte politische Gefangene in der früheren Sowjetrepublik. Obwohl keiner von ihnen bei der Präsidentschaftswahl antreten darf, erwägt die Europäische Union nun die Aussetzung der Sanktionen gegen Minsk.
Literaturnobelpreisträgerin: "Samtene Diktatur" in Weißrussland
Die weißrussische Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch sieht ein solches Vorhaben skeptisch. In der Bundespressekonferenz in Berlin sagte die 67-Jährige, der weißrussische Staatschef wende sich derzeit Europa zu, weil er kein Geld von Russland bekomme. Zwar sei die wirtschaftliche Lage in Weißrussland tatsächlich sehr schwierig. Dennoch werde Lukaschenko keine Privatisierung dulden, weil klar sei, dass er dann seine Macht teilen müsse. In Weißrussland herrsche eine "samtene Diktatur", sagte Alexijewitsch. Auf lange Sicht rechne sie nicht mit einem Ende der Diktatur in ihrer Heimat. Die weißrussische Schriftstellerin wurde am Donnerstag mit dem Nobelpreis für Literatur geehrt.
cw/se (dpa, afp)