Dem einen recht, dem anderen billig
12. Juni 2002Bereits nach dem ersten Weltkrieg wurde die Gründung der Internationalen Arbeitsorganisation ILO beschlossen. In ihr sind Gewerkschaften, Arbeitgeber und Regierungen vertreten. In mehr als 180 Konventionen hat die ILO internationale Standards festgelegt - an die sich aber bei weitem nicht jedes Land hält. Lohndumping, mangelnde soziale Absicherung, überhöhte Arbeitszeiten sowie Kinderarbeit sind in vielen Ländern der Welt immer noch "selbstverständlich".
Soziale Marktwirtschaft als Leitbild
Sozialstandards und wirtschaftliches Wachstum sind kein Widerspruch. Das habe das Modell der sozialen Marktwirtschaft gezeigt, betont Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek Zeul. Diese Ansicht scheine jedoch nur in den reichen Ländern vorzuherrschen. Die Entwicklungsländer sperren sich dagegen, verbindliche Sozialstandards einzuführen. Sie fürchten, dies könnte ihre wirtschaftliche Entwicklung hemmen.
1998 definierten die Mitgliedsländer der ILO soziale Mindeststandards neu und verabschiedeten mit großer Mehrheit die so genannten Kernarbeitsnormen. Darunter fallen der Schutz der Vereinigungsfreiheit, die Abschaffung von Kinder- und Zwangsarbeit sowie das Verbot von geschlechtsspezifischer Diskriminierung am Arbeitsplatz. Viele Unternehmen verpflichteten sich in der Folge feiwillig, die Kernarbeitsnormen einzuhalten.
"Vorbild Deutschland"
Einer der Pioniere bei der Einführung von Sozialstandards ist das deutsche Unternehmen Faber Castell. Der Bleistifthersteller beschäftigt mehr als 5000 Mitarbeiter weltweit. In den brasilianschen Werken gibt es für die Arbeiter sogar kostenloses Frühstück sowie Freizeiteinrichtungen wie Fussballplatz und Schwimmbad. In allen Betrieben überprüfen Gewerkschaftsvertreter regelmäßig, ob die ILO-Normen auch wirklich eingehalten werden.
Auch der Otto-Versand achtet bei seinen Zuliefern darauf, ob sie annehmbare Arbeitsbedingungen bieten sowie Umweltstandards einhalten. Für Michal Arretz von Otto dient das der Qualitätssicherung: "Wenn ich gute Arbeitsbedingungen habe, kann ich viel besser arbeiten. Arbeitsproduktivität hat auch etwas mit Qualität zu tun." Einen verbindlichen, für alle einheitlichen Sozialstandard gibt es in dem Unternehmen jedoch nicht.
Betriebsklima als Qualitäts-Indikator?
Mehr als 2500 Verhaltenskodices gibt es, viele werden nicht von unabhängigen Beobachtern überprüft. Dem will die Bundesregierung entgegenwirken. Zusammen mit der Außenhandelsvereinigung hat sie sich auf einen gemeinsamen Standard geeinigt.
Dennoch: Alle Initiativen von Regierungen und Unternehmen nützen nichts, wenn der Verbraucher nicht selbst mitspielt, betont Hermann Belch von Faber Castell: "Wenn ich eine Marke kaufe, dann kaufe ich automatisch Qualität, Umwelt und Sozialverhalten mit." Doch das würden die Konsumenten anders sehen, denen gehe es nur um billig.
Die Folge daraus: Das Billiggetue führt eigentlich zu dieser sozialen Armut, weil dadurch die Lieferanten in den Dritte- Welt-Ländern ausgetauscht werden wie die Socken.