Debatte um Mao-Ära in China
29. Juni 2011Das Bild von Mao Zedong ist in China immer noch allgegenwärtig. Sein überdimensionales Porträt hängt nach wie vor am Tor des Himmlischen Friedens im Zentrum Pekings. Sein Konterfei ziert die Geldscheine der Volksrepublik. Kritisch aufgearbeitet wurde die Mao-Ära in China bislang nicht. Bis heute gilt offiziell die Formel, die der damalige chinesische Parteichef Deng Xiaoping vor 30 Jahren ausgab: 70 Prozent von Maos Taten sind gut, 30 Prozent sind schlecht.
Doch ausgerechnet jetzt, kurz bevor die Kommunistische Partei in China ihr 90-jähriges Jubiläum feiert, stellen zwei chinesische Publizisten das offizielle, positive Bild des chinesischen Diktators in Frage - und lösen damit in China eine Debatte aus. Der Ökonom Mao Yushi macht den chinesischen Diktator in seinem Essay "Aus Mao wieder einen Menschen machen" verantwortlich für die mehr als 30 Millionen Toten während des "Großen Sprungs nach vorn" und der Kulturrevolution. In dem Essay bezieht er sich auf das Buch "Der Fall der Roten Sonne" des ehemaligen Armeeangehörigen Xin Ziling, in dem Maos Wirken ebenfalls sehr kritisch beleuchtet wird. Der "Große Sprung nach vorn" war ein katastrophales wirtschaftliches Experiment, das Ende der 1950er Jahre zu einer schweren Hungersnot mit Millionen Toten in China führte. Um seine Macht zu erhalten, initiierte Mao Zedong 1966 die Kulturrevolution. Das Land versank für zehn Jahre in einem bürgerkriegsähnlichen Chaos.
Richtungsstreit in der Partei
Die beiden Autoren brechen mit einer Jahrzehnte alten politischen Ideologie, sagt der Sozialwissenschaftler Ding Xueliang von der Hongkong University of Science and Technology. "Diese beiden Texte üben grundsätzliche Kritik. Man muss den Mut und das Verantwortungsgefühl der beiden Autoren bewundern."
Dass Mao Zedong die Verantwortung für Millionen Tote trägt, ist nichts Neues. Neu in China ist allerdings die Schärfe der Kritik am "Großen Vorsitzenden". Bei Mao-Anhängern stoßen die Texte von Mao Yushi und Xin Ziling auf heftige Kritik. Eine Gruppe hochrangiger, maotreuer Parteikader und einige Familienmitglieder Maos veröffentlichten eine "offene Anklage" gegen die beiden Autoren. Sie hätten "Verleumdungen über Mao Zedong verbreitet, die Geschichte der Kommunistischen Partei diffamiert und politische Unruhe gestiftet". Auf der maotreuen, linken Website "Utopia" wird dazu aufgerufen, diese "offene Anklage“ zu unterzeichnen.
Für Gu Xuewu, Politikwissenschaftler an der Universität Bonn, geht es bei der Debatte um Mao Zedong in Wirklichkeit um einen Richtungsstreit innerhalb der Partei zwischen dem Flügel der maotreuen sogenannten "Neuen Linken" und den Liberalen. "Die Liberalen möchten gerne ein neues China sehen, das auch das politische System des Westens übernimmt, und das Land zu einer demokratischen Gesellschaft entwickeln." Die "Neuen Linken" lehnen das ab, so Gu. „Es gefällt ihnen nicht zu sehen, dass die Gesellschaft und die Volkswirtschaft des Landes so massiv nach den Methoden des Kapitalismus modernisiert werden."
Wiederbelebung der "roten Kultur"
Der derzeitige Richtungsstreit innerhalb der Partei wurde noch nie so vehement geführt wie zurzeit. Grund dafür ist der Führungswechsel im kommenden Jahr. Ambitionierte Spitzenpolitiker positionieren sich jetzt schon für lukrative Posten. So zum Beispiel der Parteichef der zentralchinesischen Stadt Chongqing, Bo Xilai, das Aushängeschild der "Neuen Linken". Bo hatte sich einen Namen gemacht, als er rigoros gegen die organisierte Kriminalität und korrupte Polizisten in Chongqing vorging. In letzter Zeit sorgte Bo Xilai für Schlagzeilen, weil er sich für die Wiederbelebung der "roten Kultur" einsetzt. In Chongqing werden nun wieder die alten Lieder aus der Mao-Zeit gesungen, Kriminelle sollen nach altkommunistischer Art umerzogen werden und im Fernsehen wird in ruhmreichen Bildern die Geschichte der Partei gezeigt. Bo Xilai ist ehrgeizig und strebt einen Sitz im Ständigen Ausschuss des Politbüros, Chinas innerstem Machtzirkel, an. "Die Frage ist, ob er aus Überzeugung die 'Neuen Linken' unterstützt oder sich aus taktischem Machtkalkül mit Hilfe des Maoismus positionieren möchte", sagt Politikwissenschaftler Gu.
Radikaler Schwenk unwahrscheinlich
Angesichts des Richtungsstreits sorgt sich die chinesische Führung offenbar besonders um die Stabilität im Land. Das Klima für Andersdenkende ist in den letzten Monaten rauer geworden - wie das Schicksal zahlreicher Dissidenten zeigt, die in den letzten Monaten festgenommen wurden. Experten vermuten, dass diese repressive Atmosphäre mindestens bis zum Führungswechsel im nächsten Jahr anhalten wird.
Ob sich einer der Flügel in der Partei durchsetzen wird, ist derzeit völlig offen. Dem Politikwissenschaftler Gu Xuewu zufolge haben zwar die Linken in der Partei eine leichte Mehrheit. Dennoch gebe es einen großen Block von gemäßigten Kräften. Einen radikalen Schwenk der Partei nach rechts oder links hält Gu daher für äußerst unwahrscheinlich.
Autor: Christoph Ricking
Redaktion: Ana Lehmann