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Diffuse Islamophobie und verletzte Gefühle

Kersten Knipp7. Januar 2015

Die französische Politologin Catherine de Wenden sieht das Attentat von Paris vor dem Hintergrund zahlreicher Entwicklungen der letzten Jahre. Die allermeisten französischen Muslime seien gut integriert.

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Frankreich Terror Presse Anschlag auf Charlie Hebdo in Paris
Bild: Reuters/J. Naegelen

Deutsche Welle: Frau Wenden, in Paris ist auf die Redaktion des Satiremagazin "Charlie Hebdo" ein offenbar islamistisch motiviertes Attentat verübt worden, bei dem zwölf Menschen ums Leben kamen. Was ist der Hintergrund des Anschlags?

Catherine de Wenden: Wie in Deutschland hat es auch in Frankreich Demonstrationen gegen den Islam gegeben - vielleicht etwas weniger. Die Zeitschrift "Charlie Hebdo" hatte vor einigen Jahren die in der dänischen Zeitung "Jyllands Posten" veröffentlichten Mohammed-Karikaturen publiziert. Das tat sie unter Berufung auf die Meinungsfreiheit. Das hat einen Teil der muslimischen Gemeinde in Frankreich verletzt. Inzwischen ist die Zurückhaltung gesunken, sich islamophob zu äußern. Das geschieht etwas durch mehrere Bücher, zum Beispiel das von Eric Zemmour, "Le suicide français", eine Art Essay über den französischen Niedergang. Auch das neue Buch von Michel Houellebecq gehört dazu, ein Roman über ein Frankreich, das durch die extreme Rechte bedroht ist und zugleich einen muslimischen Präsidenten hat.

Ebenso gibt es auch einige laizistische und antiklerikale Strömungen. Sie wenden sich gegen die öffentliche Sichtbarkeit des Islams, wie sie sich generell gegen die Sichtbarkeit religiöser Symbole im öffentlichen Raum wenden. Zugleich gibt es die extreme Rechte. Der Islam wird also von mehreren Seiten zugleich kritisiert. Hinzu kommt der bereits erwähnte Kulturpessimismus. Dessen Positionen werden zu Teilen auch von der Rechten übernommen. All diese Strömungen haben sich auf einen gemeinsamen Feind geeinigt: den Islam.

Catherine de Wenden - Foto: privat
Catherine de WendenBild: privat

Was sind die Hintergründe dieser distanzierten Haltung gegenüber dem Islam?

Es liegt zum einen daran, dass die Islamkritiker sich immer weniger Zügel anlegen. Der Front National kann heute in aller Öffentlichkeit auftreten und sich äußern. Früher wurden seine Thesen von den Medien noch scharf kritisiert. Mittlerweile bekennen sich viele Franzosen ganz offen zum Front National. Dessen Thesen werden auf möglichst einfache, banale Weise verbreitet. Hinzu kommen andere rechte Parteien, die die Botschaften des Front National aufgreifen.

Auf der anderen Seite leidet Frankreich an einer hohen Arbeitslosigkeit. Dafür werden Schuldige gesucht, jemand, den man für die Misere verantwortlich machen kann. Und diesen Schuldigen hat man im Islam und der muslimischen Gemeinschaft gefunden.

Zudem gibt es den internationalen Kontext: die Krise im Irak, den "Islamischen Staat". Außerdem haben Teile der muslimischen Gemeinde keine gute Ausbildung. Einige schließen die Schule nicht ab, andere geraten auf die schiefe Bahn. Daraus schließen einige, die Muslime würden sich nicht integrieren, und darum müsse man sie ablehnen. Man versucht also nicht, mit ihnen zusammenzuleben, sondern betrachtet sie als Feinde. Alle diese Faktoren verdichten sich dann zu einer diffusen Islamophobie. Und der große Erfolg des Buches von Eric Zemmour zeigt, dass weite Teile der französischen Bevölkerung sich einer entsprechend islamkritischen Haltung anschließen.

Frankreich hat aufgrund seiner Kolonialgeschichte, insbesondere derjenigen in Algerien, eine besondere Beziehung zum Islam. Welche Rolle spielt diese Beziehung heute?

Algerien war ein französisches Departement. Daraus ist ein Verhältnis von Liebe und Hass entstanden, zudem auch eine große kulturelle Nähe. Das gilt immer noch, obwohl Französisch nicht mehr die offizielle Sprache Algeriens ist, das Land also offiziell nicht mehr zum Kreis der frankofonen Länder gehört. Dennoch wird Französisch weiterhin von breiten Teilen der Bevölkerung gesprochen. In Frankreich wiederum sind der Algerienkrieg und seine Folgen in Teilen immer noch in Erinnerung. Die meisten der männlichen Franzosen im Alter von 70 bis 80 Jahren waren als Angehörige des Militärs in Algerien. Sie sehen natürlich, dass ihr Einsatz dort nicht viel gebracht hat. Dieser Eindruck verstärkt sich angesichts der politischen und wirtschaftlichen Probleme, mit denen Algerien zu kämpfen hat.

Das besondere Verhältnis führt aber auch dazu, dass die Algerier von allen Muslimen heute die am besten in die französische Gesellschaft integrierten sind. Es gibt viele französisch-algerische Ehen, viele algerischstämmige Franzosen haben es in die Elite geschafft, gesellschaftlich wie auch politisch. Einige von ihnen haben hohe und höchste Positionen im Staatsdienst. Auch im Mittelstand sind die algerischen Migranten gut etabliert. Es gibt Journalisten, Professoren, die vor dem Islamismus in ihrer Heimat geflohen sind. Dieser Erfolg sorgt bei einem Teil der Franzosen für Neid und Hass. Darum diskriminiert man sie.

Wie reagiert die muslimische Gemeinde in Frankreich?

Man kann natürlich nicht von einer einzigen muslimischen Gesellschaft in Frankreich sprechen. Sie ist sehr heterogen. Es gibt praktizierende und nicht-praktizierende Muslime. Ein guter Teil identifiziert sich auch mit dem französischen Laizismus. Außerdem kamen die muslimischen Migranten in nacheinander folgenden Wellen. Auch das spiegelt sich natürlich in der muslimischen Gemeinde.

Frankreich ist in Europa die wichtigste Anlaufstation für muslimische Migranten. Derzeit leben sechs Millionen Muslime in dem Land. Als erstes kamen die Algerier. Dann die Marokkaner. Später auch Türken. Außerdem leben Menschen aus dem südlichen Afrika und aus dem Nahen Osten hier. Sie alle tragen dazu bei, dass die muslimische Gemeinde sehr heterogen ist. Es gibt sehr viele und sehr unterschiedliche Versuche, sich als Muslim und als französischer Bürger zu definieren. Zugleich leiden viele an Zurückweisung und Ausgrenzung. Viele besinnen sich auf ihre muslimische Identität, da sie ihren Platz in der französischen Gesellschaft nicht gefunden haben. Manche haben auch den Eindruck, dass Frankreich ihnen diesen Platz nicht zugestehen will. Doch solche Muslime sind eher die Ausnahme. Terroristen und Fundamentalisten sind die wenigsten.

Etwas mehr als die Hälfte aller in Frankreich lebenden Muslime besitzen bereits die französische Staatsangehörigkeit. Die allermeisten von ihnen praktizieren einen moderaten Islam und entsprechen in keiner Weise den Stereotypen, die einige extremistische Gruppen in der Öffentlichkeit von ihnen zu zeichnen versuchen.

Catherine de Wenden ist Politologin am Institut d'études politiques de Paris.

Das Gespräch führte Kersten Knipp.