"De-Risking" im China-Geschäft: Abschied von Globalisierung?
5. April 2024Mulfingen ist eine kleine Gemeinde im fränkisch geprägten Nordosten von Baden-Württemberg. Die Gegend wird von Kennern oft “Tal der Lüfter” genannt: Denn hier haben sich besonders viele Ventilatorhersteller niedergelassen. Während in Mulfingen nur weniger als 4000 Einwohner leben, betreiben die hier und in den Nachbargemeinden ansässigen Unternehmen weltweite Geschäfte.
EBM-Papst ist eines davon: "Als globales Unternehmen sind wir weltweit aufgestellt, haben über 30 Vertriebsniederlassungen in den wichtigsten Ländern der Welt,” erzählt Thomas Nürnberger, Vertriebschef der Firma im Gespräch mit DW.
Etwa zwei Drittel der insgesamt 15.000 Mitarbeitenden sind am Standort China beschäftigt. Wie viele andere mittelständische Firmen in Deutschland ist auch EBM-Papst auf China ausgerichtet - seit fast 30 Jahren. Es ist mittlerweile nicht nur der bedeutendste Absatzmarkt, sondern auch der wichtigste Produktionsstandort für die gesamten Lieferketten. "Wir kommen noch aus einer Zeit der Globalisierung, als wir weltweite Lieferketten etablierten. Momentan beziehen wir am chinesischen Standort etwa 30 Prozent des Materials aus Europa. Hier in Deutschland kommen ungefähr 20 bis 30 Prozent aus nicht-europäischen Ländern wie China.”
Genau dieses Hin-und-Herschicken der Bauteile müsse sich ändern, sagt Vertriebschef Thomas Nürnberger, der auch für den Standort China zuständig ist: "Seit einigen Jahren versuchen wir, die Lieferketten zu entflechten. Grundsätzlich wollen wir in China für China fertigen. Wir wollen dort in den nächsten zwei Jahren eine Lokalisierungsrate von 95 Prozent erreichen.”
Weltweite Lieferketten als Risikofaktor
„Lokal für Lokal" heißt die neue Strategie des Ventilatorherstellers. Überall soll lokal beliefert, gefertigt und verkauft werden, um die Risiken der bisherigen weltweiten Lieferketten zu reduzieren. "Wir haben durch die Zeitenwende gelernt, dass weltweite Lieferketten und sonstige wirtschaftliche Abhängigkeiten letztlich nicht unbedingt stabilisierend wirken können", meint auch Jürgen Matthes, China-Experte im Institut für Wirtschaft in Köln im DW-Interview und warnt: "Diese könnten zur Erpressbarkeit führen”. Das gelte für Unternehmen und auch für die Politik.
Aus diesem Grund plädiert die Bundesregierung in ihrer China-Strategie, die im letzten Sommer veröffentlicht wurde, für "De-Risking”- also die Reduzierung des Risikos. Unternehmen müssten sich demnach zwar nicht von ihren lukrativen China-Geschäften abkoppeln, aber mögliche Risiken genau in den Blick nehmen. Auch EBM-Papst hat Planungen für verschiedene Risiko-Szenarien entwickelt, erzählt Thomas Nürnberger: "Unsere Produktionslinien können beispielsweise innerhalb von zwei bis drei Monaten von China nach Indien verlagert werden, auch wenn wir aktuell nicht damit rechnen.”
Noch immer mehr China-Geschäfte
Dieser radikale Notfallplan würde wohl nur bei extremen Fällen wie dem Ausbruch eines Krieges zwischen kommunistischen China und der demokratisch regierten Insel Taiwan aktiviert werden. Momentan denke die Firma nicht über eine Reduzierung oder gar die Schließung der China-Geschäfte nach, betont der China-Chef von EBM-Papst. Im Gegenteil: Gerade Ende März eröffnete die Firma in Shanghai ihre neue Asien-Zentrale. Die China-Geschäfte sollen damit autarker werden. Risiken würden sich damit reduzieren.
Klaus Geißdörfer, CEO von EBM-Papst, erklärt gegenüber der DW das strategische Ziel: "Mit Blick auf die neue Zentrale in Shanghai haben wir auf jeden Fall unsere Organisation in China so vorbereitet, dass wir jederzeit das chinesische Unternehmen von uns und von der restlichen Welt abtrennen können - innerhalb sehr kurzer Zeit. Darauf sind wir schon vorbereitet.”
Auch getrennte Lieferketten lösen das Problem nicht vollständig
Tatsächlich wollen viele deutsche Unternehmen in diese Richtung gehen, bestätigt der auf China spezialisierte Ökonom Jürgen Matthes. "Wir sehen, das China-Geschäft für sich scheint bei vielen Unternehmen schon viel stärker auf eigene Füße gestellt zu werden. Das ist offenbar möglich.”
Mit solchen Plänen werden deutsche Unternehmen längst noch nicht risikofrei. Wie die Firmenchefs von EBM-Papst erklären, kann die Abkoppelung höchstens bis auf 95 Prozent erhöht werden. Diese fünf Prozent "Restrisiken” dürfe man allerdings nicht unterschätzen, warnt Jürgen Matthes. "Möglicherweise ist es an manchen Stellen schwierig, anderweitig Ersatz zu finden.” Die entscheidende Frage sei, was passieren könnte, sollte der Kriegsfall eintreten. "Vorher müsste man als Unternehmer entweder viele Produkte aus China als Vorleistung hier nach Deutschland importieren, oder europäische Lieferanten schon in der Hinterhand halten, damit man kurzfristig Ersatz findet.”
Jürgen Matthes bezweifelt jedoch, dass das mit europäischen Ersatzlieferern überhaupt möglich ist. Denn viele Unternehmen beklagen in Umfragen, "dass es bei einer ganzen Reihe von Produkten, die sie aus China beziehen, sehr schwierig ist, Ersatz zu finden.”
Auf die Frage, wie es in Mulfinger Fabrik der EBM-Papst aussehen würde, falls plötzlich ein Krieg um Taiwan ausbräche, hat auch der Unternehmenschef Klaus Geißdörfer noch keine Antwort: "Das kann ich heute noch nicht sagen.”
Trotz "De-Risking" bleibt die Abhängigkeit
Der Bundestagsabgeordnete und China-Experte der Unionsfraktion, Nicolas Zippelius, sieht ein noch größeres Problem bei De-Risking-Plänen deutscher Unternehmen im China-Geschäft: "Wenn nun mehr in China investiert wird, könnte die Abhängigkeit nur teilweise minimiert werden. Darin sehe ich ein Problem. Ich sehe aber, dass manche Unternehmen ihren Standort nach China verlagern und dort noch größere Investitionen durchführen, weil es lukrativer ist als hier in Deutschland oder in der EU.”
Laut einer Umfrage der deutschen Auslandshandelskammer in China (AHK) im Januar plant etwa die Hälfte ihrer Mitgliedsunternehmen, in den nächsten zwei Jahren ihre Investitionen in China zu erhöhen. In einem Interview mit der chinesischen staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua sagte AHK-Chef Maximilian Butek, viele deutsche Geschäftsleute seien sogar der Ansicht, dass "das größte Risiko darin besteht, nicht in China zu sein und dadurch die globale Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren".
Im DW-Interview merkt der CDU-Politiker Nicolas Zippelius an, dass "es beim Thema De-Risking um mehr als nur die reine Unternehmenssicht geht.” Es müsse dringend der "Standort Deutschland oder Europa wieder attraktiver gemacht werden, damit Unternehmen endlich mehr hier bei uns investieren.”
Firmenchef: Abschied von der Globalisierung
Das sehen die Firmenchefs von EBM-Papst ähnlich. Die ursprüngliche Idee der Globalisierung sei gewesen, dass man globale Netzwerke aufbaute, um Orte zu verbinden, wo die besten Kostenfaktoren zu finden sind. "Von dem Bild verabschieden wir uns mehr und mehr,” betont Klaus Geißdörfer gegenüber der DW. Er hofft, dass sich die "Lokal für Lokal”-Strategie langfristig auszahlen könnte.
Für den Standort Mulfingen bedeutet das: Künftig kommen weniger Bauteile aus China und die Produkte werden mehr auf europäische Kunden ausgerichtet.