Der Buhmann
25. Juni 2016"Wenn jemand von Montag bis Samstag über Europa schimpft, dann nimmt man ihm am Sonntag nicht ab, dass er überzeugter Europäer ist", schimpft Jean-Claude Juncker in der "Bild"-Zeitung. Der EU-Kommissionspräsident knöpft sich damit vor allem David Camerons Rolle bei dem Referendum vor. Der britische Premier hatte die Abstimmung zwar initiiert, aber stets für den Verbleib Großbritanniens in der EU geworben. Weil die britischen Bürger anders entschieden haben, hat Cameron für Oktober seinen Rücktritt als Premierminister angekündigt.
"EU als Geisel'"
Dem Präsidenten des Europa-Parlaments, Martin Schulz, dauert das zu lange. Im deutschen Fernsehen nannte er es "skandalös" dass Cameron sein Amt erst im Herbst aufgeben wolle. Damit werde "zum wiederholten Male ein ganzer Kontinent in Geiselhaft genommen für die parteiinternen Überlegungen der konservativen Partei Großbritanniens", kritisierte der SPD-Politiker.
Bereits als Cameron vor drei Jahren das Brexit-Referendum ankündigte, um parteiinterne Gegner ruhigzustellen, habe er einen "ganzen Kontinent verhaftet für seine taktischen Verhandlungen", sagte Schulz. Nachdem Großbritannien nun entgegen seinem Wunsch für den Austritt aus der EU gestimmt habe, halte Cameron Europa erneut hin und wolle bis zum Parteitag der Konservativen im Oktober warten. "Man kann einen Parteitag auch morgen früh einberufen, wenn man das will", betonte der EU-Parlamentspräsident.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier wirft der britischen Regierung vor, die EU-Mitgliedschaft leichtfertig verspielt zu haben. Der SPD-Politiker erinnerte in einem Fernsehinterview ebenfalls daran, dass das Referendum seinen Ursprung in Auseinandersetzungen innerhalb von Camerons konservativer Regierungspartei hatte. "Die Regierung (hat) mit dem europäischen Schicksal gespielt und hat verloren", sagte Steinmeier.
Der CDU-Europapolitiker Elmar Brook sagte dem Fernsehen der Deutschen Welle, Cameron habe ein Glaubwürdigkeitsproblem. Man könne nicht zehn Jahre erklären, wie schlecht die EU sei und dann sagen, Großbritannien müsse drin bleiben.
Juncker will rasch Klarheit
EU-Kommissionschef Juncker forderte Großbritannien auf, umgehend die Verhandlungen über den Austritt aus der Europäischen Union aufzunehmen. Er verstehe nicht, warum die britische Regierung bis Oktober für die Entscheidung brauche, ob sie den Scheidungsbrief schicke oder nicht. "Ich hätte den gerne sofort", betonte der Kommissionspräsident im deutschen Fernsehen.
Mit der formellen Austrittserklärung Großbritanniens würde eine zweijährige Frist beginnen, in der die EU und die Regierung in London über eine Entflechtung ihrer Beziehungen verhandeln. Ein Teil des Brexit-Lagers spekuliert nach Korrespondentenberichten auf eine längere Übergangszeit bis zum Jahr 2019.
wl/rb (afp, dpa, rtr)