David Bowie - Ein bisschen Berlin
8. März 2013Nach zehnjähriger Veröffentlichungsabstinenz überraschte David Bowie die Musikwelt Anfang Januar mit einer Single. In "Where Are We Now" überschneiden sich private Erinnerungen des weltberühmten Musikers mit der Geschichte West-Berlins. Denn drei Jahre lang – von 1976 bis 1978 – lebte der Sänger, Songwriter und Schauspieler hier in einer Zweizimmer-Altbauwohnung in der Hauptstraße 155 im Stadtteil Schöneberg. Nach viel Geheimniskrämerei ist sein heiß erwartetes 30. Studioalbum "The Next Day" erschienen.
"Die Zerbrechlichkeit Bowies, die sich auf seinem neuen Album zeigt, resultiert auch aus der Analogie der geteilten Stadt Berlin und der konstanten Fragmentierung der Zeit in ein Gestern, Heute und Morgen", erklärt DJ Mike West den Besuchern, die er zwei Stunden lang auf dem sogenannten "Berlin Bowie Walk" informiert. "Auf David sind wir hier stolz! Bowie ist ein bisschen Berlin", sagt er. Während die Bowiefans historische Orte im Werk und Leben ihres Helden entdecken, tauschen sie sich nebenbei auch über alte Songs und gerade veröffentlichte Kompositionen ihres blassen Schönlings aus.
Am S-Bahnhof "Neukölln" geht die Tour los, erinnert damit gleich zu Beginn an den gleichnamigen Instrumentalsong des Musikers, der in Berlin eingespielt wurde. Mehr Zusammenhang gibt es nicht. Schnell geht es per U-Bahn weiter zum Kleistpark an der Schöneberger Hauptstraße.
Auf der Flucht
Hier strandete David Bowie 1976 auf der Flucht vor der künstlichen Welt von Los Angeles. Er wollte sich vom Stress erholen, den er dort – durch seinen Einsamkeitssong "Space Oddity" zur Ikone geworden – gehabt hatte. "Ihn faszinierte die Geschichte der Weimarer Republik. Er liebte die Museen, in denen er expressionistische Werke ganz nah erleben konnte. Und natürlich begeisterte ihn die Musik in der Stadt – "Krautrock, eine Berliner Band wie Tangerine Dream und die Elektroszene, die immer wichtiger wurde", erzählt DJ Mike West seinen Gästen. "Und David wollte sich ausgerechnet in der Stadt der Kinder vom Bahnhof Zoo, die Bowie selbst als Welthauptstadt des Heroins bezeichnet hatte, von Drogen- und Alkoholsucht befreien. Der war damals völlig kaputt!"
Insel der Dekadenz
Manisch taumelte der Londoner Mittelklasseboy zur Hauptstraße 155 in Schöneberg, landete dort im gleichen Haus wie Iggy Pop. West-Berlin genoss damals nicht nur unter Wehrdienstverweigerern und Künstlern den Ruf einer Stadt der Dekadenz. Hier, auf einer Insel zwischen den politischen Blöcken im Kalten Krieg, konnte man ungezwungen tun und lassen, was man wollte. Hier war das Leben, die Kultur und die Kunst einem eigenen Rhythmus unterworfen. Vor nostalgischer Kulisse wurde viel Neues geschaffen. "Genau diese Atmosphäre brauchte David Bowie, um sich von Ziggy Stardust und Glam-Rock in die düster existentielle Heroes-Kunstfigur zu verwandeln", sagt DJ Mike West etwas verklärend.
Zum anderen Ufer
Er führt seine Besucher "Zum anderen Ufer", wie die unscheinbar brave Kneipe unmittelbar nebenan damals hieß. "Sie war eine der ersten, frei zugänglichen Schwulenkneipen in Europa, wo David und Iggy gerne abhingen!" An den Wänden hängt noch ein wenig Bowie-Krimskrams, der an diese Zeit erinnern soll.
David Bowie gab in Berlin nicht den Star, der mit großer Entourage durch Nobelbars schwebte. Der West-Berliner interessierte sich nicht für Stars und Sternchen. Und so konnte David Bowie völlig unbehelligt ein stinknormales Leben führen. "Bowie ging in Szenekneipen, besuchte Museen, ging spazieren und fuhr mit dem Fahrrad ins nahegelegene Hansa-Tonstudio in Kreuzberg", erzählt der Gruppenleiter. Die Bowiefans hängen ihm an den Lippen.
Die Hansa-Tonstudios
Vor Ort in der Köthener Straße 38 angekommen, spüren Sie: Jetzt wird’s spannend… Denn Berlin war eine der wichtigsten musikalischen Stationen des Weltstars, wo 1976 und 1977 mit "Low", "Heroes" und "Lodger" drei seiner interessantesten Alben entstanden. In den Hansa-Studios wurden – nur ein paar Schritte von der Berliner Mauer entfernt – neue Songs geboren, die den Geist der Veränderung atmeten. Die sogenannte "Berlin Trilogie" spiegelte gleichzeitig die düstere Atmosphäre der Hauptstadt wider. Aus dem Fenster des Kontrollraums konnte man damals Scharen schwarzer Krähen sehen, die auf dem sandigen Brachland zwischen den Todesstreifen am Potsdamer Platz nach Würmern pickten.
Der Kontrollraum von Tonstudio 2, in dem Bowie mit seinem Freund Tony Visconti und dem legendären "Eventide Harmonizer" neue Klänge produzierte, gewährte damals einen direkten Blick auf die Berliner Mauer. "Dieser Blick inspirierte den wohl eindrucksvollsten Song über eine Liebe im Schatten der Berliner Mauer: Heroes", tut ein Teilnehmer des "Berlin Bowie Walk" sein Wissen kund. "Aber das war noch etwas anders als allgemein bekannt", erwidert DJ Mike West. "Der Song handelt von einem knutschenden Paar, ja, aber dass es tatsächlich der verheiratete Gitarrist und Freund Toni Visconti war, der im Schatten der Mauer eine Affäre auslebte, hat Bowie der Presse damals freundschaftlich verschwiegen. Er wollte Viscontis Ehe nicht gefährden."
Zu Fuß geht die 20-köpfige Tourgruppe weiter, am Brandenburger Tor vorbei. Man hat Zeit sich zu unterhalten, Berlin aus einem anderen Blickwinkel wahrzunehmen. Eine Stadt, die sich sehr verändert hat, wieder zur deutschen Hauptstadt geworden ist. Hier hatte der Transformationskünstler David Bowie vorübergehend seinen Lebensmittelpunkt, "als Suchender nach einer neuen Identität, der die Stadt genauso plötzlich verließ, als sein Interesse an ihr erlahmte", zitiert die junge Frau in der Gruppe einen mitgebrachten Zeitungsausschnitt.
Rückkehr nach Berlin
Der letzte Stopp des "Berlin Bowie Walk" ist erreicht: der Platz der Republik. Hierher kam David Bowie am Pfingstsamstag 1987 zurück. Als der Star mit den Eurythmics und Genesis zum 750. Jubiläum der Stadt sein "Concert for Berlin" vor dem damals noch nicht renovierten Reichstag gab, versammelten sich auch Hunderte ostdeutscher Jugendliche am nahegelegenen Brandenburger Tor – und forderten den Abriss der Mauer. Die ostdeutsche Polizei ging mit Schlagstöcken gegen die Fans vor. Erst aus heutiger Sicht lässt sich die Bedeutung dieses Auftritts erahnen. Bowie ist eben: ein bisschen Berlin.